Gentlemen, wir leben am Abgrund
Trockeneis und Pyrotechnik, alles wird in das dreckig-rote Bamberger Licht getaucht sein, die Zuschauer ganz in Rot, rote T-Shirts, rote Perücken, rot flimmernde Teufelshörner, die Banden werden rot leuchten. Es wird wahnsinnig heiß sein, die Sonne wird auf die Halle knallen, die roten Scheinwerfer wie Wärmelampen. Es wird krachen, es wird donnern, der Hallensprecher wird in Ekstase geraten, die drittgrößte Mehrzweckhalle Bayerns ist heute Abend ein Hangar für ein Düsenflugzeug. Die siebenhundert mitgereisten Berliner Fans werden sich tapfer wehren, aber die Halle wird sie in Grund und Boden lärmen.
Wenn Bamberg einläuft, wird man seine eigenen Gedanken nicht mehr verstehen können. Sven Schultze erwartet ein 130-Dezibel-Pfeifen, die Zuschauer haben sich entschlossen, ihn zu hassen, obwohl oder gerade weil er aus Bamberg kommt. Auf mich wartet Paul Neumann, der feuerspuckende Wutbürger, er wird das Spiel über hinter mir stehen und wie besessen schimpfen. Es geht hier nicht um fränkische Gastlichkeit, es geht um die deutsche Meisterschaft und die Qualifikation für die Euroleague. Es geht um Ehre und viel Geld. Best of five. Es steht zwei zu zwei, heute Abend fällt die Entscheidung. Für einige wird es das letzte Spiel im Berliner Trikot sein, Kapitän Femerling spielt vielleicht das letzte Spiel seiner langen Karriere. Die Hölle wird es sein, die perfekte Kulisse für ein Basketballspiel dieser Größenordnung.
Wir werden begleitet. In der regulären Saison fährt niemand mit der Mannschaft zu Auswärtsspielen, niemand reist im Januar nach Hagen und im Februar nach Quakenbrück. Aber jetzt im Frühsommer, in den Playoffs, zum Finale um die deutsche Basketballmeisterschaft, folgen uns sechs Reisebusse voller Fans, ein beflaggter Autokonvoi und die komplette Pressemeute. Morgen warten 25 Berliner Journalisten in der Halle auf uns: Sebastian Arlt von der Morgenpost, Bardow oder Spannagel vom Tagesspiegel, Herr Reinsch von der FAZ . Die Bild, die BZ , der Kurier. Die Sportfeuilletonisten, die ewigen Sportromantiker, der schmierige Boulevard. Die Volontärin, die plötzlich Fragen stellen muss, die sie bis vor zwei Stunden gar nicht hatte. Der, den sie die Made nennen. Das Radio. Zwei Fernsehteams. Der Dreivierteljournalist. Die Presse steht im Kabinengang und wartet. Die Augen sind auf uns gerichtet, der Druck knackt in den Ohren. »Die alle«, sagt Mithat, und wie immer weiß man nicht, ob er es ernst meint oder Witze macht, denn Mithat sieht seit Tagen schon so aus, als würde er niemandem mehr trauen, nicht der Presse, aber auch nicht der Euphorie, der Liebe zum Spiel, den Ergebnissen, dem Spiel an sich, dem Ball meinetwegen, »die alle fahren nur mit, um uns verlieren zu sehen.«
Zurück zum Schweigen: Morgen ist also der 18. Juni und die deutsche Basketballmeisterschaft wird entschieden. Die Halle ist restlos ausverkauft, Tausende werden auf dem Maxplatz jubeln. Es wird irre laut, schon deshalb muss die Mannschaft ohne Worte auskommen. In jedem Jahr kommt eine Basketballmannschaft an den Punkt, wo alles formuliert ist, alles gesagt und alles geschrieben. Es ist die Stunde, in der wir alles voneinander wissen: Trainer über Spieler, Spieler über Trainer, Spieler über Spieler, und alle über das Spiel. Bamberg weiß alles über Alba und Alba weiß alles über Bamberg. Meine Saison ist fast vorbei. Die einzige noch übrig gebliebene Frage wird auf dem Parkett beantwortet, ganz konkret, ganz physisch. Alles liegt jetzt in den Körpern der Spieler.
Großes Schweigen also, als der Bus durch Bamberg rollt, vorsichtig durch die Gassen, hinein in die Euphorie für dieses Spiel, vorbei an rotzenden Halbstarken und ihren gereckten Fäusten. Ein konzentriertes Schweigen, eine entschlossene Stille. Die Spieler starren aus dem Fenster auf die Stadt. Der Bus hält. »Freak City!«, sagt Schultze in das hydraulische Zischen, »wir sind hier, um zu gewinnen!« – »Championship!«, sagt Rochestie, »let’s go!« Wir packen unsere Sachen. »Fuck yeah!«, sagt Bryce Taylor. Ich habe meine erste und letzte Saison als Basketballprofi erlebt, ich bin hier, um davon zu erzählen.
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DER SOMMER IST EIN WARTESAAL
BERLIN, AUGUST 2010
ALS ICH DEN COACH ZUM ERSTEN MAL TRAF , brannte die Sonne auf den DDR – Bungalow, in dem die Büros von Alba Berlin untergebracht sind. Es war der heißeste Nachmittag des Jahres 2010, wir waren verabredet. Am Türrahmen hing ein Plastikschild: »Trainerbüro«. Ich klopfte an
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