Gentlemen, wir leben am Abgrund
Lieblingsautor sei Elmore Leonard, ob ich Rum Punch kenne oder Out of Sight? Die seien alle auch zu Filmen geworden, Rum Punch zum Beispiel heiße als Film Jackie Brown, grandios! Oder Stephen King. Oder Little Drummer Girl von John le Carré, Die Libelle. »Nur damit eines klar ist«, sagte Luka Pavi ć evi ć . »Ich freue mich, dass du dabei bist.«
Meine Saison im deutschen Profibasketball begann an einem Sonntagmorgen im August, bei unentschiedenem Wetter, Nieselregen und Hitze. Sie begann, wie sie enden würde: mit einer Busfahrt. Ich war der Erste am Treffpunkt, ich hatte mir die Regeln des Coaches zu Herzen genommen. Der massive Busfahrer Micha lehnte an seinem Bus vor dem Trainingszentrum: weiße Stoppeln, breites Grinsen, Berliner Seele, die einem zur Begrüßung auf die Schulter haut – und die Schulter bricht.
Ich erklärte mich: Ich sei einmal Basketballer gewesen, jetzt sei ich Schriftsteller und hier, um ein Buch über Alba und die Saison zu schreiben, nicht als Sportjournalist, sondern als Geschichtenerzähler. Ein wenig auch als Ethnologe. Nicht ergebnisorientiert, sondern auf der Suche nach dem Wesen des Spiels. Ich sei nie Profi geworden, wolle aber wissen, wie dieses Leben gewesen wäre. »Ich will«, sagte ich zu Micha, dem Busfahrer, »der Welt des Profisports auf den Grund gehen.« Micha sah mich an, als wisse er das alles schon und noch viel mehr. Er nahm mir den Koffer aus der Hand und packte ihn in den Bus (er wusste mehr als ich).
Auf Pavi ć evi ć s Befehl waren mir erstmal zwei T-Shirts und schwarze Shorts mit dem Alba-Logo ausgehändigt worden. Am Abend vor der Abreise hatte ich meine Frau gefragt, ob ich die Reise tatsächlich in Alba-Weiß-und-Schwarz antreten solle, das Albatros-Logo auf der Brust. Ich hatte von ethnologischen Methoden und journalistischer Unabhängigkeit geredet (»Bist du nervös?«, hatte sie gefragt). Jetzt stand ich in Zivil am Bus und wartete auf die Mannschaft, mit der ich die nächsten zehn Monate verbringen sollte. »Na dann«, grinste Micha, »viel Glück in dieser Welt.«
Eine professionelle Basketballmannschaft ist eine merkwürdige Gemeinschaft: 22 Männer, die zehn Monate lang mehr Zeit miteinander verbringen als mit ihren Familien. Alba Berlin plante dieses Jahr mit einem Trainer, drei Assistenten, zwei Ärzten, einem Physiotherapeuten, einem Teambetreuer und 14 Spielern. Der Jüngste im Tross war der gerade mal siebzehnjährige türkisch-deutsche Nachwuchsspieler Can-Jonathan Kleiner, Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters, aufgewachsen in Antalya. Demirel hatte ihn auf der Talentsuche in der Türkei gefunden und nach Berlin geholt. Kleiner kam an diesem ersten Morgen als Erster an, ein schüchterner Junge von 2,06 Meter, der grüßte und schwieg. Als Nächster fuhr Professor Mika in einem silbernen Alba- VW auf den Parkplatz.
Professor Mika hieß eigentlich Mihajlo Švraka und war 1955 in Belgrad geboren. Er wirkte gelehrt, fast weise, und weil ich nicht gut mit Namen bin, merkte ich mir »Professor Mika«. Er hatte die serbische Hochsprunglegende Dragutin Topi ć zur Olympiade in Sydney gebracht, ehe er zum Basketball und mit Coach Pavi ć evi ć nach Berlin gekommen war. Professor Mika touchierte beim Einparken das Parkplatztor mit seinem Seitenspiegel. Er stieg aus, seine Brille fiel auf den Boden.
»It’s okay«, sagte er und lächelte.
Professor Mika ist bei Alba Berlin für die Spielerkörper verantwortlich, er kann auf Deutsch und Englisch zählen und Kommandos geben: »Bankdrücken! Bench press! Zehn mal hundertzwanzig! Stretch achilles!« Alle wissen, dass er die Mechanik des menschlichen Körpers beherrscht, aber im Restaurant keine Bratkartoffeln bestellen kann. Er könnte Legenden erzählen, wenn er die Sprache dazu hätte. Wir standen wortlos in der Gegend. Professor Mika spannte einen Schirm auf. Wir warteten.
Dann kam der Assistent, bepackt mit Taschen, Büchern und Computern. Konstantin Lwowsky ist eine unwahrscheinliche Figur im Profibasketball: mittelgroß, mittelschwer und mittelcool zwischen lässigen Giganten. Er hat Geisteswissenschaften studiert, aber ist dann Basketballtrainer statt Deutschlehrer geworden. Er ist 36 Jahre alt und Vater eines Dreizehnjährigen, er ist mit einer toughen Berliner Polizistin verheiratet. Lwowsky trug Jeans und eine Retro-Trainingsjacke. Er war seit fünf Jahren die rechte Hand des Trainers von Alba Berlin, erst von Henrik Rödl, dann von Luka Pavi ć evi ć . Er ist
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