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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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Magengegend, deren Zellwände sich, wie Ackerkrumen für die Samen späterer Geschwüre, öffneten. Robusti dachte oft in Bildern – wie man es von einem Kunstsammler erwartet.
    Endlich hörte er die Dienerschaft rumoren. Schleifende Geräusche, Ächzen: Die Mannschaft erschien, teppichbeladen. Da keine Zeit übrig blieb, im Keller aus den Besenstuben Leitern zu holen, vollführte die männliche Dienerschaft ein Spektakel, das selbst die Artisten des National-Zirkus von Peking in Atem gehalten hätte. Körper stieg auf Körper, vier Mann hoch, einbeinig der eine, bucklig der andere, an Armen oder Rücken lädiert der dritte und der vierte. Nägel und Hammer flogen von Hand zu Hand. In weniger als vier Minuten bedeckten drei persische Teppiche die Wand mit den Diplomen und sonstigen akademischen Leckereien.
    Der Herr und Meister nickte anerkennend. Die Mannschaft verschwand wie die Heinzelmännchen im Märchen, und entsprechend lautlos schloß sich die Tür. Er öffnete das Fenster und atmete tief ein und aus. Die Gefahr von Durchzug bestand nicht. Eigentlich wollte er telephonieren.
    Mit wem?
    Er setzte sich wieder, labte die Augen an den Teppichen, ließ den Blick durch den Raum schweifen und erstarrte.
    An der linken Wand, von drei dorischen Säulen teilweise verdeckt, hingen die Bilder aus den – wie er im Männerkreis zu schmunzeln pflegte – morganatischen Verhältnissen. Mr. Omai O'Hara würde sich auf jeden Fall danach erkundigen, bestenfalls aus Höflichkeit. Nicht nur die Kinder waren zu erblicken, nein, sie saßen auf seinem Schoß und kuschelten sich an ihn, und zudem waren da Dutzende von Kinderzeichnungen, Portraits von ihm oder zumindest Versuche, genial und oft gelungen. So sind Kinder, Kinder sind genial. Und die meisten Kritzeleien waren zu entziffern: »Für Papa von Mario. Für Papa von Claudia. Für Papa von Ernesto«, Natalia, Celestina, Marco, Isabella, Claudio, Augusto, Loris, Manuela, Giorgio, Guilietta, dann: Anna, Donatella, Maria, Carla, Vincenza, Silvana, Simona, Gina, Laura, Desdemona, Julia, Monica, Benita, Augustina, Clara, Lisa –
    Robusti ließ sich unersetzliche Sekunden lang vom Ärger übermannen, weil er weit mehr Töchter als Söhne gezeugt hatte, obwohl die Söhne seinen Namen nicht tragen konnten: Bastarde (Primo Antonio Robusti hätte sich entleibt, öffentlich, wenn er ein Bastard gewesen wäre), doch es blieb keine Zeit, diese Wand auch noch zu verhängen.
    Omai O'Hara betrat das mit Dutzenden von Amoretten geschmückte Bureau, ohne anzuklopfen, guckte so ungeniert um sich wie die Touristen in der Sixtinischen Kapelle, bevor sie wahrnehmen, daß die Kunstwerke sich oben an der Decke befinden.
    Ein Augenmensch.
     
    Im Talmud steht geschrieben, daß Engel niemals lachen. Es ist ihnen nicht verboten. Keineswegs. Doch da sie in allem, wirklich in allem, auch das Komische sehen, erübrigt sich für sie ein Lachen.
    Zufällig befand sich der Engel Ebuhuel auf der Durchreise zum Vatikan, der unter den Engeln als eine Art Las Vegas beliebt ist, das man am Ende jedes Erdenbesuchs für ein paar Stunden zur Entspannung aufsucht.
    Ebuhuel, ein omnipotenter Engel übrigens – er trägt Macht über alles –, stand mitten in Primo Antonio Robustis Bureau-Salon. Er hatte zufällig von der Macht dieses Erdlings vernommen, war neugierig, hörte zu. Und lächelte. Ja, er lächelte, für den milliardsten Teil einer Sekunde, so rasch, wie ein Lichtstrahl braucht, um 30 Zentimeter zurückzulegen.
    Ebuhuel blieb eine irdische Minute, während deren er ernsthaft überlegte, was wohl die Menschen unter einem Wunder verstünden.

FÜNFZEHN
    »Mit dem Honorar«, sagte Omai O'Hara, »bin ich einverstanden, die Hälfte ist rechtzeitig telegraphisch auf mein Bankkonto in Sante Fe überwiesen worden. Sie haben auch meine übrigen Bedingungen akzeptiert, so zum Beispiel die Dollarwährung vor drei Jahren.«
    »Alles in Ordnung«, entgegnete Robusti aufgeräumt und blätterte, ohne aufzusehen, in einem Aktenbündel, das er im letzten Augenblick irgendeiner Schublade entnehmen konnte. »Haben Sie irgendwelche Wünsche für Ihr Wohlbefinden?«
    O'Hara schwieg, ein Indianerhäuptling, der mit Würde und Ruhe seine Überlegenheit demonstriert. Seine Gesichtshaut war von mattem Silberfilm überzogen, die Augenbrauen vergoldet und die Lippen in hellem Violett geschminkt.
    »Faszinierend«, bemerkte Robusti und zwinkerte mit den Augenlidern. »Ich verstehe, Sie sind ein Science-fiction-Fan.« Endlich war er

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