Geographie der Lust
bemerkenswert.«
»Da gibt es nichts zu rühmen. Ein Geschenk der Natur. Nichts anderes. Wie der Körper dieses Mädchens hier, das Sie, Signore Robusti, als potentielles Kunstwerk erkannt haben. In einem gewissen Sinne sind Sie also nun auch Künstler.«
O'Hara kannte die geheime Hochachtung der Reichen vor Künstlern und Kunst. Sie waren alle so. Fast alle.
SIEBZEHN
Nach einer Stunde hatte Omai O'Hara die Umrisse der Meere, Kontinente und Inselgruppen so zart wie mit Pastell auf Lauras Haut kopiert und nach eingehender Prüfung mit dem Tätowierstift fixiert.
Die Konturen waren leicht geschwollen. Er tupfte sie immer wieder mit einem kleinen Stück Watte ab, legte hierauf mehrere zusammengefaltete Schichten von Verbandstoff über die beiden nicht unangenehm schmerzenden Halbkugeln und klebte sie mit Heftpflaster fest.
»Das wär's für heute«, sagte er, und Laura legte sich schläfrig auf den Bauch.
Sachlich und leise wie ein Chirurg teilte er mit: »In drei Stunden kann man die Bandagen entfernen, die Haut mit Wasser kühlen und mit Watte abtupfen.«
»Selbstverständlich«, antwortete Robusti gehorsam.
»Ich werde für alles besorgt sein.«
»Nein.« O'Hara entnahm einer Packung eine Zigarette und hielt das Flämmchen eines Dunhill-Feuerzeugs an die Zigarettenspitze, dergestalt, daß sein wie von einem Sonnenuntergang vergoldetes Gesicht für ein paar Augenblicke aufleuchtete. Selbst der Zigarettenrauch, den er aus Mund und Nasenlöchern entließ, hatte einen leisen Schimmer von Gold.
»Was heißt hier nein?« fragte Robusti grimmig.
»Ich werde darauf zurückkommen. Sie gestatten, daß ich zuerst meine Muskeln entspanne, indem ich sie anspanne.«
O'Hara ließ sich vornüber auf den Boden fallen, und sein Gesicht wurde nur zwei Zentimeter unter seiner Nase von den Armmuskeln vor einem Aufprall geschützt. Dann vollzog er fünfundsiebzig Liegestütze, anstrengungslos, und erhob sich wieder. Die Zigarette war ausgeglüht, der Stummel steckte noch immer zwischen seinen Lippen.
»Ich war sechzehn Monate in Vietnam, Kampfeinsatz.«
»Haben Sie getötet?«
»Elf Stück«, antwortete O'Hara, »zwei mit dem Dolch, einen mit dem Bajonett, sechs mit der Maschinenpistole und einen erwürgt.«
»Das sind zehn«, bemerkte Robusti lächelnd, »was war mit dem elften? Haben Sie sich verrechnet?«
»Nein. Sie haben viel gesehen und geschehen lassen in Ihrem Leben, Signore Robusti, doch wie ich den elften umgebracht habe, diese Geschichte möchte ich sogar Ihnen ersparen.«
»Sie haben meine eigentliche Frage noch immer nicht beantwortet«, sagte Robusti.
»Ich werde sie nun beantworten. Also, schauen Sie Ihre Hände an. Sie sind klobig und grob. Darum tragen Sie ja auch meistens Handschuhe.«
Diesmal wurde Robusti tatsächlich bleich.
»Sie glauben doch nicht, daß ich dieses zarte, eben begonnene Kunstwerk durch Ihre Tolpatschigkeit – ich weiß, Sie können nichts dafür, trotzdem –, daß ich mein Kunstwerk wegen Ihrer Tolpatschigkeit ruiniert sehen möchte.«
Robusti fand keine Antwort.
»Wie ich bemerkt habe, nicht wahr, ist fast Ihr gesamtes Personal verkrüppelt. Es ist bekannt, Sie haben ein gutes Herz. Deshalb. Aber täusche ich mich, wenn ich vor ein paar Stunden ein hübsches, zierliches Mädchen mit einem Klumpfuß auf der Treppe erblickt habe?«
»Lucia?« flüsterte Laura. »O ja, Lucia. Laß Lucia kommen. Bitte!«
Robusti konnte dank dieser Bitte das Gesicht wahren und gab nach.
»Gute Nacht«, wünschte er, schlug, ganz unitalienisch, die Hacken zusammen, dachte an Erich von Stroheim und ging stracks hinaus.
Lucia erschien so schnell, als hätte sie eine gütige Fee hergezaubert und nicht ein befehlssüchtiger Tyrann geschickt.
»Es ist mir eine große Ehre, Mister O'Hara«, flüsterte sie ehrfurchtsvoll. »Das ganze Haus spricht nur von Ihnen, ich heiße Lucia.«
»Wie heißt du sonst noch, Lucia?« fragte O'Hara.
»Florentano, Lucia Florentano, Lucia heiße ich nach meiner Großmutter und Florentano nach meinem Vater und –«
O'Hara unterbrach sie. – »Du mußt in drei Stunden Lauras Umschläge vorsichtig ablösen, mit Wasser abkühlen und wieder auflegen. Das ist alles. Kannst du das?«
»Ich habe in einem Spital gearbeitet«, antwortete Lucia.
»Gut. Und nun hör du zu, Laura, ja?«
Laura hob den Kopf. »Ich höre zu.«
»Du sollst gut schlafen, tief und fest, damit du dich nicht im Schlaf auf den Rücken legst, verstehst du?«
Sie nickte, und O'Hara kniete vor ihr
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