Geographie der Lust
nieder, zog sein goldenes Feuerzeug hervor und knipste das Flämmchen an.
»Betrachte es«, sagte er mit leiser Stimme und führte das brennende Feuerzeug vor seine Stirne. Die Stirne erglänzte.
»Du siehst eine Flamme, nicht wahr?«
Laura nickte.
»Der Glanz wird stärker und stärker, ja?«
Laura nickte.
»Und nun wirst du Bäume sehen, die brennen, ja?« Sie nickte.
»Und nun einen ganzen Wald. Einen ganzen, großen Wald. Schön, das Feuer, nicht wahr?«
Lauras Kopf hob sich noch ein klein wenig. Sie schaute und schaute.
»Und nun werde ich mit einem Aushauchen meines Atems alles löschen. Alles, alles löschen. Kein Feuer mehr. Nur Asche. Schnee.«
Er blies das Flämmchen aus, und man vernahm Lauras leises Atmen.
O'Hara erhob sich, deckte sie mit einem Leintuch zu und küßte sie auf die Stirn.
Lucia starrte ihn gebannt an.
»Werden Sie mich auch einmal hypnotisieren, Mister O'Hara?« Sie wurde schwach in den Knien.
O'Hara stellte sie wie eine Puppe auf und schüttelte sie.
Draußen begann ein Hund zu bellen.
Er trug das klumpfüßige Mädchen zur Tür und wollte es in seine Räume hinaufbringen, aber der Hund bellte wiederum. Irgendwo.
O'Hara, der Hunde haßte, blieb stehen und konzentrierte sich auf den Sekundenzeiger seiner Uhr, bis dieser fünf Sekunden zurückgelegt hatte, die Zeit, die der Donner für eine Meile braucht.
Der Hund jaulte kurz auf und schwieg.
ACHTZEHN
Drei Stunden später, es war fast Mitternacht, stand O'Hara selber, nicht Lucia, wieder vor dem Bett Lauras, die noch immer wie ein Murmeltier überwinterte. Sie glaubte Schneeflocken auf der Haut zu spüren, als die Bandagen abgelöst, die Konturen gekühlt und von sanften Tüchelchen bedeckt wurden; sie atmete glücklich. »Es herrscht noch immer Winter, mein Kind«, flüsterte O'Hara, »schlaf weiter, weiter, weiter.«
Er ging zum Fenster und sah in die Nacht hinaus. Der Mond über den sanften Hügeln war zunehmend, und Omai O'Hara erkannte die drei ersten Engel des Mondes: Yahriel, Ichadiel, Elimiel; – er konnte ihre Gesichter genau unterscheiden. Bis zur Nacht des Vollmondes würden auch die vier andern Engelsgesichter für ihn sichtbar werden: das Gesicht Gabriels, Tsaphiels, Zechariels und Iaqwiels.
Sie waren seine Freunde.
Omai O'Hara pflegte seit seinem dreizehnten Lebensjahr jede Vollmondnacht nackt und bewegungslos auf dem Dach eines Hauses oder auf freiem Feld zu verbringen und, ohne einmal zu blinzeln, den Mond zu betrachten.
Seine nackte, wirkliche Haut war während der einundvierzig Lebensjahre mondfarbig geworden. Er hatte sie mit Gold oder Silber, oft nur mit fettem kalifornischem Sonnenöl eingerieben. In Vietnam pflegte er im Mondlicht nackt bis in den frühen Morgen zu warten, zum Entsetzen und Gelächter seiner Mannschaft, die die Nächte mit Wetten verbrachte. Nicht ein einziges Mal wurde auf ihn geschossen.
Er wurde schließlich frühzeitig, aber ehrenvoll entlassen, als seelisch und geistig unzurechnungsfähiger Mensch.
Die Engel des Mondes waren seine Freunde geworden. Zwar sprachen sie nie mit ihm – Engel sprechen Menschen nur im Schlaf an –, dennoch wußte O'Hara, daß sie ihn erkannt und zumindest ihm die Schimpflichkeit der menschlichen Mondlandung verziehen hatten.
Er hatte einen großen Plan, einen ganz und gar konkreten Plan. Einen geistigen Plan, der nichts zu tun hatte mit dem stupiden und nutzlos ultratechnischen Versuch zur Eroberung des Mondes, der ja erloschen und tot war. Omai O'Hara wollte den Mond verschönern, nicht erobern. Und dieser Gedanke gefiel den Engeln des Mondes.
Nach einer Stunde der Meditation kehrte er in sein Zimmer zurück, blieb wach liegen und ließ sich von Lucia, vom warmen Glanz ihrer Haut, wärmen wie von der Sonne des Mittelmeeres.
Drei Stunden später erhob er sich. Drei Stunden entsprechen der Zeitdauer, die nach einer Studie der Universität von Indiana sieben siebenjährige Knaben benötigen, um siebenmal einen Orgasmus zu erreichen. Lucia seufzte tief.
Laura schlief noch immer. O'Hara entblößte ihren Hintern und studierte mit seinem Lupenmonokel die Verkrustungen der tätowierten Linien, die ausgetrocknet waren. Dennoch wollte er nichts dem Zufall überlassen, obschon ihn sein Drang, mit der Ausübung seiner Kunst zu beginnen, quälte.
Er beschloß, drei weitere Stunden zu warten.
Der Engel, zuständig für die Zeit, besitzt keinen Namen. Dennoch existiert dieser Engel, und er wird von Engel-Forschern so beschrieben: »Er
Weitere Kostenlose Bücher