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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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andere weibliche Verwandte, die den Rosenkranz befingerten.
    »Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen –«
    Er blieb eine Weile stehen, respektvoll, hörte, wie Laura die Perlen des Rosenkranzes befingerte, murmelte –
    »Ehre sei dem Vater, dem Sohne und dem heiligen Geist –«
    Er blieb, die Hände gefaltet, stehen, wartend, demütig.
     
    Laura hielt inne, senkte den Rosenkranz und lächelte ihm zu.
    »Bleib, du bist so schön«, hörte er ihre Stimme, »und schweig noch eine Minute.«
    Robusti schwieg.
    »Du bist schön«, sagte er schließlich.
    »Du hast mich noch schöner gemacht«, antwortete Laura, streifte ihr Nachthemd ab, wandte ihm Gesicht, Brüste und Oberschenkel zu und tauschte mit ihm einen langen, sehnsüchtigen Blick.
    Robusti täuschte sich. Auch der Haß hat seine Sehnsucht.
     
    Robusti ließ den resedagrünen Seidenmantel fallen und begrüßte mit seinen aufklatschenden Pranken die beiden bunten Halbwelten und ließ ihre Hautteile zwischen seinen Fingern aufquellen und verunstaltete so genüßlich die im 16. Jahrhundert entstandene Mercator-Projektion des fast runden Erdballs, die fälschlicherweise noch heute Gültigkeit hat.
     
    Wie immer begann Robusti die von ihm geschaffene Welt physisch zu erobern. Er war Magellan, Kolumbus, Amundsen, Stanley und Marco Polo in einer Gestalt. Die Welt war bevölkert von schönen Frauen. Nach neun Stößen war er in Rom angelangt, wo vor Hunderten von Jahren der Feldherr Scipio Africanus als Sieger über Hannibal und Karthago gefeiert worden war, und Robustis Blick glitt weiter nach Nordafrika, wo die europäisch anmutenden Nubierinnen immer als herrliches Vergewaltigungsgut gegolten hatten, rundum jedem Sieger ein Schmaus, ja Nubierinnen, die mit ihrem feuchten Haar in entzückender Hingegebenheit die Tropfen von der Stirne des der Liebe huldigenden, schwitzenden Mannes tupften und vor Freude kreischten – wiederum siebenundzwanzig Stöße –
    Robusti ärgerte sich, daß er seine Brille vergessen hatte, und für diese Zeitdauer ließ seine Vigorosität nach, was Laura, die erst die Küste Nordafrikas erreicht hatte, etwas enttäuschte; aber Robusti katapultierte seine Phantasie mit Schwung in den ehemaligen belgischen Kongo, zu den Suaheli-Frauen mit den schwarzen Steißen, und dabei fiel ihm eine junge schwarze Brasilianerin ein, die er erst vor zwei Wochen aus Bahia hatte einfliegen lassen und die ihm nach drei Stunden das Mark aus dem Rücken gesogen hatte; sein Blick fixierte nun den südamerikanischen Kontinent, in fünfzehn Grüntönen gehalten, die bewundernden brasilianischen Augen. In diesem Augenblick hätte sich seine Standhaftigkeit beinahe gelockert, doch er ordnete seine Gedanken wieder, versuchte mit einem Ausspruch Agnolo Firenzuolas seine Begierde zu zügeln: »Della perfetta bellezza d'una donna« –, Langweiliges über die Harmonie des weiblichen Körpers und Gesichts: »Die Stirn der Frau muß geräumig sein, das heißt breit und hoch.« Was sollte er mit der geräumigen Stirn einer Frau anfangen, natürlich: das Gesicht, nichts war wichtiger als das Gesicht, wenn es und das war die Voraussetzung – einen Hinweis auf die Biegsamkeit des Kreuzes, auf die samtene Haut an der Innenseite der Oberschenkel und auf die Einbuchtung aufmerksam machte, die den Reiz des zarten Rückens und der Taille in ihrem Übergang zu üppigen Hüften verstärkte, und er ließ sich die zierliche Israelin einfallen, die mit ihrem langen schwarzen Haar seine Augen peitschte, und die er dann wieder auf den Rücken drehte – ja überhaupt: die Sprache – es war erst gut, wenn die Frau vor Lust in ihre Mutter- oder Eingeborenensprache zurückfiel, die Gegenwart vergessend, den Mann, nur den Mann, den namenlosen Mann –.
    Laura gab sich nicht kühl, obschon sie voller Verachtung war. Zwei- oder dreimal stieß sie Lustschreie aus: »Mamma mia! Madonna! Madonna!«, was Robusti begeisterte wie jeden italienischen Torschützen, Milano gegen Juventus Turin oder so, und er genoß den hunderttausendstimmenlauten Beifall im Stadion, er ritt und ritt – äußerlich gesehen, eine Frau ist kein Fußball –, ritt und ritt, gab sich selbst die Sporen, sah sich als jungen Leichtathleten, was wiederum seine Lust beflügelte; dennoch zogen Wolkenfelder durch sein Gehirn, er durfte nicht nachgeben, ein Wolkenbruch würde ihm demnächst Erlösung bringen. Jajajaja, rief das weibliche Wesen unter ihm, dem

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