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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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Körper schmücken würde: lauter Sterne in anthrazitfarbigem Dunkel mit Blautönen, die zu ihren wunderbar blauen Augen passen würden.
    Es wäre zu schön gewesen, doch die Ewigkeit hatte Shekinah allmählich eingeschüchtert, und sie wollte nicht zu den mehr als zehntausend gefallenen Engeln gehören, die laut Talmud in der Hölle schmoren.
    Sie gab ihren Segen und verzog sich melancholisch. Die Ewigkeit ist manchmal zu ewig.
    O'Hara sagte zu Laura: »Du gehörst dir. Ich war und bin nur ein Instrument der Mondengel, demütig und dankbar.« Er räusperte sich. »Andererseits darf es kein Mißverständnis darüber geben, daß du mir gehörst wie ich dir. Heirat wäre das Naheliegendste, da ja Gatte und Gattin sozusagen gegenseitiger Besitz sind. Einverstanden?«
    Laura antwortete nicht.
    »Wir fahren morgen früh nach Mailand und fliegen nach Santa Fe«, fügte er hinzu. »Noch heute nacht rufe ich meine Familie und meine Freunde an. Sie werden der Presse mitteilen, daß ich mit meinem großartigsten Kunstwerk zurückkehre.«
    Laura nickte.
    »Da ich zur Zeit verheiratet bin, wird mein Bruder die Scheidung einleiten und sogleich vollziehen. Und nun hypnotisiere ich dich erst einmal und präge dir eine geheime Nummer ein, eine Telephonnummer. Bloß eine Sicherheitsmaßnahme. Alle andern Informationen gibt dir Lucia. Sie wird dich auch begleiten. Schlaf nun gut. Wir sehen uns morgen früh wieder.«
     
    Aber es sollte alles anders werden.

DREIUNDZWANZIG
    Omai O'Hara stand unter der Dusche und wusch sich das Gold von Gesicht, Hals, Armen und Händen; der Seifenschaum dampfte zu seinen Füßen. Ein schönes, muskulöses, breitschultriges Mannsbild, dem die Frauen so sehr zugetan waren, daß er jeweils nur eine Minute nackt vor einem Spiegel zu stehen brauchte, die Augen geschlossen und im Bewußtsein seiner Begehrenswertigkeit, nur eine Minute, während deren sich seine Männlichkeit straffte und wie eine unbeflaggte Fahnenstange zum Stehen kam: eine seiner persönlichen Yoga-Übungen. Er ließ sich federnd auf die Hände fallen, schnellte mit den Ellbogen auf und nieder, vollführte in wenigen Minuten eine Hunderterserie von Liegestützen und schwang dann den Kopf zwölfmal hin und her, jedesmal in eine der vier Himmelsrichtungen. Der Schweiß troff an ihm nieder, und er überprüfte wiederum vor dem Spiegel den unveränderten Stand des Dinges.
     
    Er trat ans Fenster und sah in den Park hinunter, auf die Bäume, die klassizistischen Statuen. Durchlöchertes Gestein des Künstlers Henry Moore war von Scheinwerfern bestrahlt. Auf einem fernen Hügel zeichneten sich Zypressen wie die erstarrte Prozession sonst wandernder Bäume vom nächtlichen Horizont ab.
    Der Sommer neigte sich dem Ende zu; das Zirpen der Zikaden, jede Nacht ein bißchen kürzer, kündigte den Frühherbst an.
    Omai O'Hara betrachtete das alles nicht uninteressiert. Doch seine Abneigung gegen die Natur und alles sogenannte Natürliche war stärker, und so zog er die Vorhänge, kniete nieder und stimmte einen monotonen Gesang an, in dem außer dem Vokal O nur Konsonanten vorkamen, die unendlich in die Länge gezogen wurden, so daß es sich für einen Nichtkenner buddhistischer Gesänge anhörte wie die unablässige Wiederholung der Formel: Om mani padme hum… Om mani padme hum… Om mani padme hum… Om mani padme hum…
    Hierauf verbeugte er sich dreimal vor seinem Spiegelbild, legte eines der Köfferchen als Kissen unter seinen Hinterkopf, legte die Arme ausgestreckt dem Körper entlang und schlief ein. Schlief fast ohne Atem.
    Er sah aus wie der tote Christus von Holbein. Edel. Und gerade dies wurde sein Verhängnis.
     
    Die Mutterleiche war in dieser Vollmondnacht wieder auf der Suche nach dem undankbaren Sprößling, der irgendwo im Palazzo seine Wut am Dienstpersonal ausließ, schimpfend und prügelnd. Sie geisterte durch die Räumlichkeiten, spähte durch alle Ritzen und Spalten und Tapetenrisse und erblickte angewidert Lauras fast nackte Schönheit, kam aber dennoch von diesem Anblick nicht los, denn fast genau so hatte sie als junges Mädchen ausgesehen, allerdings mit schönerem Busen und noch schöner gerundetem Hintern, zarteren Handgelenken und zierlicheren Fesseln, ohne Frage; sie ärgerte sich trotzdem und ächzte unhörbar weiter, weiter und weiter; auf dem Weg zu ihrer Totenkammer erblickte sie im teuersten Gästezimmer des Palazzos, das sonst nur von hohen klerikalen Persönlichkeiten, Adeligen und Mafiosi besucht wurde –

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