Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
Fabiani.
Gilbert : Wie glücklich der Mensch ist! Fluch über mich!
Joshua : Armer Gilbert! deine Reihe wird kommen. Heute er, morgen du.
Gilbert : Was willst du sagen? Wir verstehen uns nicht. Wovon sprichst du?
Joshua : Von dem Schaffot, das man eben aufschlägt.
Gilbert : Und ich, ich spreche von Jane!
Joshua : Von Jane?
Gilbert : Ja, von Jane! Nur von Jane! Was liegt mir am Übrigen? Du hast also Alles vergessen? Du weißt also nicht mehr, daß ich, seit einem Monat an die Gitter meines Kerkers geklammert, sie bleich und in Trauer ohne Unterlaß um den Fuß dieses Turmes wanken sehe, der zwei Menschen einschließt, Fabiani und mich? Du weißt also nichts von meiner Qual, meinen Zweifeln, meiner Ungewißheit? Für wen von Beiden kommt sie? Ich frage mich das Tag und Nacht, armer Elender! Ich frug dich selbst, Joshua, und du versprachst mir gestern Abend, du wolltest versuchen, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. O, sprich! weißt du etwas? Kommt sie für mich oder für Fabiani?
Joshua : Ich erfuhr, daß Fabiani bestimmt heute enthauptet werden sollte, und du morgen; und ich gestehe, daß ich seit dem Augenblicke wie verrückt bin, Gilbert. Das Schaffot hat mich Jane vergessen machen… dein Tod…
Gilbert : Mein Tod! Was meinst du mit dem Wort? Mein Tod! Jane liebt mich nicht mehr, das ist er. Ich war tot seit dem Tag, wo ich nicht mehr geliebt wurde. O! wahrlich tot, Joshua. Das, was von mir noch lebt, verlohnt sich nicht der Mühe, die man sich morgen mit mir macht. O, sieh! du machst dir keinen Begriff von dem, was ein Mann ist, welcher liebt! Wenn man mir vor zwei Monaten gesagt hätte: Jane, deine fleckenlose, deine reine Jane, dein Stolz, deine Lilie, dein Kleinod, Jane wird sich einem Andern überlassen: wollt Ihr sie dann noch? – Ich hätte gesagt: Nein! ich möchte sie dann nicht mehr. Lieber tausend Mal den Tod für mich und sie! Und ich hätte den mit Füßen getreten, der so zu mir gesprochen hätte. Nun denn, ja, ich will sie! – Du siehst wohl, heute ist Jane nicht mehr die makellose Jane, die ich anbetete, die Jane, über deren Stirne ich kaum mit meinen Lippen zu hauchen wagte, Jane hat sich einem Andern überlassen, einem Elenden, ich weiß es, und doch – was liegt daran? ich liebe sie. Ich würde den Saum ihres Kleides küssen und sie um Vergebung bitten, wenn sie es wollte. Und wenn sie mit dem Andern in den Gossen der Straße läge, ich würde sie aufraffen und an mein Herz drücken, Joshua! – Joshua, ich würde nicht hundert Jahre meines Lebens, denn ich habe nur noch einen Tag, aber ich würde die Ewigkeit geben, die ich morgen haben werde, um sie noch ein Mal lächeln zu sehen, ein einziges Mal vor meinem Tod, und sie das angebetete Wort sagen zu hören, das sie sonst zu mir sagte: Ich liebe dich! – Joshua! Joshua! so ist das Herz eines Mannes, der liebt. Ihr glaubt, Ihr würdet das Weib töten, das Euch betrügt? Nein, Ihr würdet sie nicht töten, Ihr werdet Euch zu ihren Füßen setzen nach wie vor, nur werdet Ihr traurig sein. – Du findest mich schwach! Was hätte es mich geholfen, wenn ich Jane getötet hätte? O! ich habe das Herz voll unerträglicher Gedanken. O, wenn sie mich noch liebte! was liegt mir an all dem, was sie mir getan hat. Aber sie liebt Fabiani! Aber sie liebt Fabiani! Für Fabiani kommt sie! Nur das ist gewiß, daß ich sterben möchte. Habe Mitleid mit mir, Joshua!
Joshua : Fabiani wird heute hingerichtet.
Gilbert : Und ich morgen.
Joshua : Gott ist am Ende aller Dinge.
Gilbert : Heute werde ich an ihm, morgen wird er an mir gerächt.
Joshua : Mein Bruder, da kommt Äneas Dulverton, der zweite Constabler des Turmes. Du mußt wieder hinein. Mein Bruder, ich werde dich diesen Abend wiedersehen.
Gilbert : O! sterben, ohne geliebt, sterben, ohne beweint zu werden! Jane!… Jane!… Jane!… Er geht in den Kerker zurück.
Joshua : Armer Gilbert! Mein Gott! wer hätte mir je gesagt, daß geschehen würde, was geschieht? Er geht ab. Simon Renard und Meister Äneas treten auf.
Zweite Szene
Simon Renard, Meister Aneas Dulverton
Simon Renard : Das ist sehr seltsam, wie Ihr sagt; aber was wollt Ihr? Die Königin ist toll, sie weiß nicht, was sie will. Man kann auf nichts rechnen, sie ist ein Weib. Ich möchte ein wenig wissen, was sie hier tut. Seht, das Herz eines Weibes ist ein Rätsel, dessen Auflösung Franz der Erste auf die Scheiben von Chambord schrieb:
Ein Weib sich ändert jeden Tag,
Ein Narr ist, wer ihm trauen mag.
Hört, Meister
Weitere Kostenlose Bücher