Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
einer guten Stunde zu haben.
Jane : Das ist sehr lang.
Meister Äneas : Es ist bald vorbei. Außerdem ist es in einer Stunde finster. Es ist besser so, wenn Eure Majestät wünscht, daß die Flucht insgeheim vor sich gehe.
Königin : Ihr habt vielleicht Recht. Nun, in einer Stunde sei es! Ich verlasse Euch, Lady Jane, ich muß auf das Stadthaus. Rettet Fabiani!
Jane : Seid ruhig, Madame.
Die Königin geht ab. Jane folgt ihr mit den Augen.
Joshua auf dem Vordergrund der Bühne: Gilbert hatte Recht, ganz für Fabiani.
Sechste Szene
Die Nämlichen, die Königin ausgenommen
Jane zu Meister Äneas: Ihr habt den Willen der Königin gehört. Einen Nachen an den Fuß des Turms, die Schlüssel zu den geheimen Gängen, einen Hut und einen Mantel.
Meister Äneas : Unmöglich das Alles vor Nacht zu haben. In einer Stunde, Mylady.
Jane : Gut. Geht. Laßt mich mit diesem Manne allein.
Meister Äneas geht, Jane folgt ihm mit den Augen.
Joshua bei Seite auf dem Vordergrund der Bühne: Diesem Manne! Das ist ganz einfach. Wer Gilbert vergessen hat, erkennt Joshua nicht mehr. Er geht nach der Türe von Fabiani’s Kerker und schickt sich an, sie zu öffnen.
Jane : Was macht Ihr da?
Joshua : Ich komme Euren Wünschen zuvor, Mylady. Ich öffne diese Türe.
Jane : Was ist das für eine Türe?
Joshua : Die Türe des Kerkers von Mylord Fabiani.
Jane : Und diese da?
Joshua : Ist die Kerkertüre eines Andern.
Jane : Wessen? Dieser Andere?
Joshua : Ein anderer zum Tode Verurteilter, Jemand, den Ihr nicht kennt. Ein Arbeiter, Namens Gilbert.
Jane : Öffnet diese Türe!
Joshua nachdem er die Türe geöffnet: Gilbert!
Siebente Szene
Jane, Gilbert, Joshua
Gilbert ruft aus dem Kerker: Wer ruft mir? Er tritt auf die Schwelle, erblickt Jane und hält sich wankend an der Mauer. Jane! – Lady Jane Talbot!
Jane auf den Knien, ohne die Augen aufzuschlagen: Gilbert, ich komme Euch zu retten.
Gilbert : Mich retten!
Jane : Hört! Habt Erbarmen, zermalmt mich nicht. Ich weiß Alles, was Ihr mir sagen werdet. Es ist gerecht; aber sagt es mir nicht. Ich muß Euch retten. Alles ist bereit. Die Flucht ist sicher. Laßt Euch von mir retten, so gut wie von einem Andern. Ich verlange sonst nichts. Ihr werdet mich dann nicht mehr kennen. Ihr werdet nicht wissen, wer ich bin. Verzeiht mir nicht, aber laßt mich Euch retten. Wollt Ihr?
Gilbert : Ich danke; es ist unnütz. Zu was mich retten wollen, Lady Jane, wenn Ihr mich nicht mehr liebt?
Jane freudig: O Gilbert! ist es das in Wahrheit, was Ihr verlangt? Gilbert! würdigt Ihr mich noch, Euch mit dem zu beschäftigen, was in dem Herzen des armen Mädchens vorgeht? Gilbert! liegt Euch noch etwas an der Liebe, die ich für irgend Jemand haben könnte, und dünkt es Euch der Mühe wert, darnach zu fragen? O! ich dachte, daß Euch das sehr gleichgültig wäre und daß Ihr mich zu sehr verachtetet, um Euch um das zu kümmern, was ich mit meinem Herzen machte. Gilbert! wenn Ihr wüßtet, was mich die Worte fühlen machen, die Ihr mir sagtet! Das ist ein sehr unerwarteter Sonnenstrahl in meiner Nacht. O! hört mich doch dann. Wenn ich es noch wagte, mich Euch zu nähern, wenn ich es wagte, Eure Kleider zu berühren, wenn ich es wagte, Eure Hände in die meinigen zu nehmen, wenn ich es noch wagte, die Augen zu Euch und dem Himmel aufzuschlagen, wie sonst: wißt Ihr, was ich sagen würde, knieend, niedergeworfen, weinend zu Euren Füßen, Seufzer auf den Lippen und die Freude der Engel im Herzen? Ich würde Euch sagen: Gilbert, ich liebe dich!
Gilbert faßt sie heftig in seine Arme: Du liebst mich?
Jane : Ja, ich liebe dich!
Gilbert : Du liebst mich! – Sie liebt mich, mein Gott! Es ist wahr, sie ist es, die mir es sagt, ihr Mund ist es, der sprach, Gott im Himmel!
Jane : Mein Gilbert!
Gilbert : Du hast Alles für meine Flucht vorbereitet, sagst du? Schnell! schnell! Das Leben! Ich will leben, Jane liebt mich! Dieses Gewölbe senkt sich auf meinen Kopf und zerdrückt ihn. Ich brauche Luft. Fliehen wir schnell! Fort, Jane! Ich will leben – ich werde geliebt!
Jane : Noch nicht. Wir haben einen Nachen nötig. Wir müssen die Nacht abwarten. Aber sei ruhig, du bist gerettet. Ehe eine Stunde vergeht, sind wir draußen. Die Königin ist auf dem Stadthaus und kommt nicht sobald zurück. Ich bin hier Herrin; ich werde dir Alles erklären.
Gilbert : Eine Stunde warten, das ist sehr lang. O, ich bin ungeduldig, Leben und Freude wieder zu fassen! Jane! Jane! du bist da! Ich werde leben, du
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