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Georg Büchner, "Woyzeck" - Textausgabe + Lektüreschlüssel

Georg Büchner, "Woyzeck" - Textausgabe + Lektüreschlüssel

Titel: Georg Büchner, "Woyzeck" - Textausgabe + Lektüreschlüssel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reclam
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Tugend, Moral und den Segen der Kirche.
    Bezogen auf Woyzeck veranschaulicht die Figur des Hauptmanns, dass sich die Obrigkeit auch noch in ihrer jämmerlichsten Erscheinungsform jederzeit mit Selbstverständlichkeit das Recht anmaßt, die ihnen Untergeordneten zu drangsalieren und zu verhöhnen. Der Hauptmann zieht sein Gefühl der Überlegenheit wesentlich aus der Herablassung, mit dem er Woyzeck behandelt. Dass er zu Woyzeck sagen kann, er sei »abscheulich dumm« (Szene 5), wird ihm zum Beweis seiner eigenen Klugheit, die er anders unter Beweis zu stellen nicht in der Lage ist. Zwar gibt er sich gerne gemütlich und »menschlich«; aber man darf nicht übersehen, dass diese gemütliche Herablassung »die völlige Entmündigung des andern« schon voraussetzt (Glück, S. 207) und dass diese Gemütlichkeit jederzeit bedenkenlos bereit ist, in Grausamkeit umzuschlagen: Es ist der Hauptmann, der Woyzecks Verdacht, dass Marie ihn betrüge, boshaft Nahrung gibt und der auf diese Weise dafür sorgt, dass Woyzeck vollends die Balance verliert.
    Der Doktor. Wie der Hauptmann und der Tambourmajor bleibt auch der Doktor namenlos. Er existiert im Stück nur in Ausübung seines Berufes, den er als Berufung betrachtet. Sein ehrgeiziges Ziel ist, die Wissenschaft zu revolutionieren, sie in die Luft zu sprengen (Szene 8). Woyzeck ist ihm dabei ein Mittel zum Zweck, kein Patient, sondern ein Versuchstier, nicht viel mehr als ein Ding. Das Verhalten, das der Doktor Woyzeck gegenüber an den Tag legt, ist getränkt von Hochmut und Geringschätzung. Dass er sich über Woyzecks Unvermögen, seinen Harn zu halten, aufregt, ärgert ihn vor allem deshalb, weil Woyzeck durch seinen Ärger aufgewertet wird. »Behüte wer wird sich über einen Menschen ärgern, einen Menschen!«, meint er zynisch und bringt zum Ausdruck, dass ihm ein Mensch weniger bedeutet als ein »Proteus« (gemeint ist wohl eine froschartige Eidechse). Auch im Umgang mit dem Hauptmann stellt er diesen Zynismus unter Beweis (vgl. Szene 9). Zudem ärgert er sich über seinen Ärger, weil dieser nicht zu seinem Selbstbild als kaltblütigem Wissenschaftler passt. Die Bemühung, diesem Selbstbild zu entsprechen, fördert noch das Verschwinden seiner Persönlichkeit hinter der beruflichen Existenz.
    Wie sich Georg Büchner für die Figur des Hauptmanns Anregungen aus dem Kreis seiner militärischen Verwandten geholt haben könnte, so scheint die Figur des Doktors in charakteristischen Zügen auf den Botaniker, Zoologen und Anatom Johann Bernhard Wilbrand (1779–1846) zurückzugehen, den Büchner während seines Gießener Medizinstudiums als Universitätslehrer kennen gelernt hatte. Die Anlehnung an einen historisch verbürgten Wissenschaftler unterstreicht die Authentizität der Figur und der von ihr vertretenen Ideen.

4. Werkaufbau
    Über den Aufbau des
Woyzeck
kann man nicht sprechen, ohne zumindest kurz auf die Textkonstituierung und somit auf die Editionsgeschichte des Werkes einzugehen. Mit Textkonstituierung ist hier gemeint, dass ein unvollendet gebliebenes oder unvollendet überliefertes Werk von einer anderen Person als dem Autor in eine Form gebracht wird, die den Absichten des Autors so nahe wie möglich kommen soll. Die Editionsgeschichte ist in diesem Sinne die Abfolge mehrerer Ausgaben desselben Werkes von verschiedenen Herausgebern, die aufgrund ihres unterschiedlichen Kenntnisstandes zu verschiedenen Auffassungen darüber gelangt sind, in welcher Form das Werk zu präsentieren sei. Wenn im Folgenden vom Aufbau des
Woyzeck
die Rede ist, ist demnach immer in Rechnung zu stellen, dass wir nicht genau wissen, ob Büchner sich sein Drama in der Abfolge der Einzelszenen tatsächlich genau so gedacht hat, wie es sich uns in der zugrunde gelegten Fassung des Werkes darstellt.
1. Zur Geschichte der
Woyzeck
-Ausgaben
    Ein halbes Jahr nach Georg Büchners frühem Tod im Februar 1837 schickte seine Verlobte Wilhelmine Jaeglé dem Schriftsteller Karl Gutzkow Abschriften von unveröffentlichten Werken Büchners. Gutzkow, der schon für die Veröffentlichung von Büchners einzigem zu Lebzeiten gedruckten literarischen Werk,
Dantons Tod
, gesorgt hatte,sollte sich um die Publikation dieser Werke (
Leonce und Lena
und
Lenz
) kümmern. Die
Woyzeck
-Fragmente fehlten in dieser Sendung. Vermutlich hatte Wilhelmine Jaeglé den Eindruck, dass die vorhandenen Teile in sich zu unfertig und als Ganzes nicht geschlossen genug waren.
    Auch Georg Büchners Bruder Ludwig verzichtete,

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