George, Elizabeth
offenen
Kommodenschubladen; überall Zeitschriften, Boulevardzeitungen, Stadtpläne,
Broschüren und Handzettel, ein Durcheinander aus Spielkarten, Visitenkarten und
Postkarten, stapelweise Fotos, die mit Gummibändern zusammengehalten wurden...
»Wie lange hat sie hier
gewohnt?«, fragte Barbara. Es schien ihr unvorstellbar, dass jemand in weniger
als fünf Jahren so viel Kram anhäufen konnte.
»Fast sieben Monate«, sagte
Bella. »Ich habe sie darauf angesprochen. Sie meinte, sie würde irgendwann
aufräumen, aber ich glaube...«
Barbara sah die Frau an. Sie
hatte nachdenklich die Oberlippe eingezogen. »Ja?«, fragte Barbara.
»Ich glaube, sie hat eine Art
Trost darin gefunden. Sie konnte sich einfach von nichts trennen.«
»Tja, hm.« Barbara seufzte.
»Das muss natürlich alles durchgesehen werden.« Sie nahm ihr Handy aus der
Tasche und klappte es auf. »Ich werde Verstärkung anfordern müssen«, erklärte
sie Bella.
Lynley nahm den Wagen als
Vorwand, denn das war das Einfachste, was er sich selbst und Charlie Denton
einreden konnte. Nicht dass er sich verpflichtet fühlte, Denton über seine
Aktivitäten zu informieren, aber er wusste, dass der junge Mann sich immer
noch wegen seines Gemütszustands sorgte. Also ging er in die Küche, wo Denton
gerade seine außerordentlichen Kochkünste darauf verwendete, eine
Fischmarinade zuzubereiten, und sagte: »Ich bin kurz weg, Charlie. Ich fahre
für etwa eine Stunde nach Chelsea.« Ihm entging nicht das freudige Leuchten,
das kurz in Dentons Augen aufblitzte. Chelsea konnte alles Mögliche bedeuten,
aber Denton würde sich denken können, dass nur ein Grund Lynley aus Belgravia fortlocken
konnte. Er fügte hinzu: »Ich will ein bisschen mit meinem neuen Wagen angeben«,
und Denton sagte: »Dann fahren Sie hübsch vorsichtig. Nicht dass der schöne
neue Lack eine Schramme abkriegt.«
Lynley versprach, alles Nötige
zu beachten, um eine derartige Tragödie zu vermeiden. Dann ging er zum
Nebengebäude, wo das Auto stand, das er als Ersatz für den Bentley gekauft
hatte, den Barbara Havers fünf Monate zuvor zu Schrott gefahren hatte. Er
schloss das Garagentor auf, und da stand es, und tatsächlich empfand er einen
Anflug von Besitzerstolz beim Anblick des kupferfarbenen Prachtstücks. Es hatte
vier Räder und war letztlich nichts weiter als ein Fahrzeug. Aber es gab
Fahrzeuge und Automobile, und dies hier war eindeutig ein Automobil. Der
Healey Elliott gab ihm etwas, worüber er beim Fahren nachdenken konnte und das
ihn von den Themen ablenkte, über die er lieber nicht nachdenken wollte. Das
war einer der Gründe gewesen, warum er sich zu dem Kauf entschlossen hatte.
Man musste sich zum Beispiel überlegen, wo man den Wagen parkte und welche
Strecke man von A nach B zurücklegte, um Zusammenstöße mit Radfahrern, Taxis
oder Bussen zu vermeiden oder mit Fußgängern, die Rollkoffer hinter sich
herzogen, ohne auf ihren Weg zu achten.
Außerdem musste man so ein
Automobil sauber halten und darauf achten, dass man es in weniger zivilisierten
Gegenden stets in Sichtweite parkte. Man musste den Ölstand sorgsam überwachen
und dafür sorgen, dass die Zündkerzen in praktisch keimfreiem Zustand blieben,
man musste bei den Rädern regelmäßig die Spur und den Reifendruck überprüfen
lassen. Ein typischer englischer Oldtimer also, der permanente Umsicht und
ebensolche Wartung verlangte, kurz: Es war genau das, was er in dieser
kritischen Phase seines Lebens brauchte.
Von Belgravia nach Chelsea
hätte er genauso gut zu Fuß gehen können, trotz der Hitze und der vielen
Einkaufsbummler auf der King's Road. Kaum zehn Minuten nachdem er sein Haus
verlassen hatte, kroch er im Schneckentempo über die Cheyne Row, guter Dinge,
in der Nähe der Ecke Lordship Place einen Parkplatz zu finden. Das Glück wollte
es, dass am King's
Head and Eight Bells gerade ein Lieferwagen wegfuhr, sodass er direkt vor
dem Pub parken konnte. Auf dem Weg zu dem hohen Backsteinhaus an der Ecke
Lordship Place und Cheyne Row hörte er, wie eine Frau seinen Namen rief:
»Tommy! Hallo!«
Die Stimme kam aus der
Richtung des Pubs, wo seine Freunde gerade um die Ecke des Cheyne Walk bogen.
Wahrscheinlich hatten sie einen Spaziergang am Themse-Ufer gemacht, dachte
er, denn Simon St. James trug Peach auf dem Arm - eine Langhaardackelhündin,
die Hitze ebenso wenig ausstehen konnte wie ausgedehnte Spaziergänge -,
während seine Frau Deborah sich bei ihm untergehakt hatte, in der Hand
Weitere Kostenlose Bücher