George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
dass Derivate und synthetische Wertpapiere registriert werden müssen. Und doch enthalten die Gesetze, über die derzeit beraten wird, keine solche Anforderung. Der Landwirtschaftsausschuss des Senats schlägt vor, dass Einlagenkreditinstitute den Swap-Markt organisieren sollen. Das ist zwar ein exzellenter Vorschlag, der viel zur Reduzierung von Verflechtungen zwischen den Märkten beitragen und der Ansteckungseffekte verhindern würde, aber er würde keine Derivate regulieren.
Die fünf großen Banken, die als Marketmaker fungieren und für 95 Prozent der Freiverkehrstransaktionen in den Vereinigten Staaten verantwortlich sind, stellen sich wahrscheinlich dagegen, weil das ihre Gewinne betreffen würde. Verwirrender ist da schon, dass auch einige multinationale Konzerne dagegen sind. Die einzige Erklärung dafür ist, dass man mit maßgeschneiderten Derivaten Steuern vermeiden und Gewinne manipulieren kann. Solche Überlegungen sollten die Gesetzgebung nicht beeinflussen.
DIE KRISE UND DER EURO
The New York Review of Books , 12. Juli 2010
Ich bin überzeugt, dass Fehlauffassungen bei der Gestaltung der Geschichte eine große Rolle spielen, und die Eurokrise ist ein Paradebeispiel dafür.
Ich möchte meine Analyse mit der vorangegangenen Krise beginnen, mit der Pleite von Lehman Brothers. In der Woche nach dem 15. September 2008 sind die globalen Finanzmärkte eigentlich zusammengebrochen und bis zum Ende der Woche mussten sie künstlich am Leben erhalten werden. Die lebenserhaltenden Maßnahmen bestanden darin, Schulden von Finanzinstituten, die für die Gegenparteien nicht mehr akzeptabel waren, durch staatlich verbürgte Kredite zu ersetzen, die durch die Finanzmittel eines Staates hinterlegt waren.
Wie Mervyn King, der Gouverneur der Bank of England, erklärte, mussten die Verantwortlichen kurzfristig genau das Gegenteil dessen tun, was langfristig nötig war: Sie mussten viel Kredit in das System pumpen, um den fehlenden Kredit zu ersetzen, und so das überschüssige Aufkommen an Kredit und Leverage noch verstärken, das die Krise überhaupt verursacht hatte. Erst längerfristig, nach Abflauen der Krise, würden sie den Kredit austrocknen und das makroökonomische Gleichgewicht wiederherstellen können.
Dafür war ein heikles Manöver in zwei Phasen notwendig – wie wenn ein Auto ins Rutschen gerät und man zuerst in die Richtung lenken muss, in die man rutscht, und erst dann gegensteuern kann, wenn man die Kontrolle zurückerlangt hat. Die erste Phase dieses Manövers wurde erfolgreich abgeschlossen – der Kollaps wurde abgewendet. Aber die Ursachen, die dahinter standen, wurden nicht behoben und kamen wieder an die Oberfläche, als die Finanzmärkte begannen, die Kreditwürdigkeit von Staatsschulden infrage zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt rückte der Euro aufgrund einer strukturellen Schwäche seiner Konzeption in den Mittelpunkt. Aber wir haben es mit einem weltweiten Phänomen zu tun, das eine unmittelbare Folge des Crashs 2008 ist. Die zweite Phase des Manövers – die Wirtschaft auf einen neuen, besseren Kurs zu bringen – stößt hingegen auf Schwierigkeiten.
Die Situation erinnert geradezu unheimlich an die 1930er-Jahre. Zweifel an der Staatsverschuldung erzwingen zu einer Zeit Senkungen von staatlichen Haushaltsdefiziten, zu der das Bankensystem und die Wirtschaft vielleicht nicht stark genug sind, ohne steuerliche Anreize und Währungsanreize zurechtzukommen. Keynes hat uns gelehrt, dass Haushaltsdefizite für kontrazyklische Maßnahmen in Zeiten der Deflation unentbehrlich sind. Die Staaten fühlen sich jedoch allerorten gezwungen, sie unter dem Druck der Finanzmärkte zurückzufahren. Da dies zu einer Zeit kommt, da außerdem die Chinesen aufs Bremspedal treten, besteht Gefahr, dass dies alles die Weltwirtschaft in eine Rezession oder möglicherweise in einen Double Dip stürzt. Europa, das die erste Phase der Finanzkrise relativ gut überstanden hat, steht jetzt aufgrund der Probleme im Zusammenhang mit der gemeinsamen Währung an vorderster Front der Verursacher von Abwärtsdruck.
Der Euro war von Anfang an eine mängelbehaftete Währung. Der Maastricht-Vertrag errichtete 1992 eine Währungsunion ohne politische Union. Der Euro wartet zwar mit einer gemeinsamen Notenbank auf, aber ihm fehlt ein gemeinsames Finanzministerium. Genau diesen staatlichen Rückhalt stellen die Finanzmärkte jetzt infrage und er ist das, was in der Konstruktion fehlt. Deshalb ist der Euro zum Brennpunkt der
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