George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
aktuellen Krise geworden.
Die Mitgliedsländer teilen sich zwar eine gemeinsame Währung, aber was die Staatsverschuldung angeht, sind sie auf sich gestellt. Diese Tatsache wurde bis vor Kurzem durch die Bereitschaft der Europäischen Zentralbank (EZB) verschleiert, an ihrem Diskontfenster die Staatsanleihen aller Mitgliedsländer zu den gleichen Bedingungen zu akzeptieren. Dies ermöglichte den Mitgliedsländern, praktisch zu den gleichen Zinsen Kredite aufzunehmen wie Deutschland, und die Banken waren froh, mit vermeintlich risikolosen Anlagen ein paar Extrapennies zu verdienen, indem sie ihre Bilanzen mit Staatsanleihen der schwächeren Länder beluden. Diese Positionen gefährden jetzt die Kreditwürdigkeit des europäischen Bankensystems. Beispielsweise halten europäische Banken spanische Anleihen im Wert von fast einer Billion Euro, wobei sich die Hälfte im Besitz deutscher und französischer Banken befindet. Man sieht, dass die europäische Staatsschuldenkrise kompliziert mit einer europäischen Bankenkrise verknüpft ist.
Wie kam diese Verknüpfung zustande?
Die Einführung des Euros im Jahr 1999 brachte eine radikale Verengung der Zinsdifferenzen mit sich. Dies erzeugte wiederum in Ländern wie Spanien, Griechenland und Irland Immobilienblasen. Statt der vom Maastricht-Vertrag verordneten Konvergenz wuchsen diese Länder schneller und bauten Handelsdefizite innerhalb der Eurozone auf, während Deutschland seine Arbeitskosten begrenzte, wettbewerbsfähiger wurde und einen chronischen Handelsüberschuss entwickelte. Um die Sache noch zu verschlimmern, fuhren einige Länder und vor allen Dingen Griechenland Haushaltsdefizite, die über die im Maastricht-Vertrag festgelegten Grenzen hinausgingen. Aber der Diskontkredit der Europäischen Zentralbank erlaubte es ihnen, sich weiterhin zu praktisch den gleichen Zinsen wie Deutschland Geld zu leihen, was sie von dem Druck befreite, ihre Exzesse zu beenden.
Die erste deutliche Erinnerung daran, dass der Euro kein gemeinsames Finanzministerium hat, kam nach dem Bankrott von Lehman. Die Finanzminister der Europäischen Union versprachen, dass sie kein weiteres Finanzinstitut von systemischer Bedeutung würden bankrottgehen lassen. Aber Deutschland stellte sich gegen eine gemeinsame europaweite Bürgschaft. Jedes Land musste sich selbst um seine Banken kümmern.
Zunächst waren die Finanzmärkte von dem Versprechen der EU-Finanzminister derart beeindruckt, dass ihnen der Unterschied kaum auffiel. Das Kapital floh aus Ländern, die nicht in der Lage waren, ähnliche Garantien zu geben, aber die Zinsunterschiede auf Staatsanleihen blieben innerhalb der Eurozone minimal. Damals gerieten die Länder Osteuropas, vor allem Ungarn und die baltischen Staaten, in Schwierigkeiten und mussten gerettet werden.
Erst in diesem Jahr haben die Finanzmärkte angefangen, sich wegen der Anhäufung von Staatsschulden innerhalb der Eurozone Sorgen zu machen. Griechenland rückte ins Zentrum der Aufmerksamkeit, als die neu gewählte Regierung enthüllte, dass die vorige Regierung gelogen hatte und das Defizit 2009 viel größer war als angegeben.
Die Zinsdifferenzen begannen zwar zu wachsen, aber die europäischen Behörden reagierten nur langsam, weil die Mitgliedsländer radikal unterschiedliche Ansichten vertraten. Deutschland, das durch zwei Hyperinflations-Episoden traumatisiert worden war, reagierte auf jeglichen Aufbau von Inflationsdruck allergisch. Frankreich und andere Länder waren eher bereit, Solidarität an den Tag zu legen. Da Deutschland vor Wahlen stand, war es nicht bereit, zu handeln, aber ohne Deutschland konnte nichts unternommen werden. Deshalb schwärte die Griechenlandkrise und breitete sich aus. Als die Verantwortlichen endlich die Kurve kriegten, mussten sie ein viel größeres Rettungspaket anbieten, als es nötig gewesen wäre, wenn sie früher gehandelt hätten.
In der Zwischenzeit griff die Krise auf andere Defizitländer über, und um die Märkte zu beruhigen, fühlten sich die Verantwortlichen gezwungen, einen Europäischen Stabilisierungsfonds im Volumen von 750 Milliarden Euro zusammenzustellen, wobei 500 Milliarden von den Mitgliedstaaten kamen und 250 Milliarden vom IWF.
Aber die Märkte sind nicht beruhigt, denn das Termsheet des Fonds, also die Bedingungen, nach denen er operiert, wurde von Deutschland diktiert. Der Fonds wird nicht gemeinsam verbürgt, sondern gesondert, sodass die schwächeren Länder tatsächlich für einen Teil ihrer
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