Georgette Heyer
Hendred hätte nicht entsetzter sein
können, hätte Venetia ihre Absicht bekundet, ins Kloster zu gehen, und sie bat
sie höchst ernsthaft, alle derartigen Pläne aus ihrem Kopf zu verbannen. «Dein
Onkel würde nie davon hören wollen!» sagte sie.
Venetia, die ihre Tante fast ständig
komisch fand, mußte lachen, sagte aber liebevoll: «Liebste Ma'am, ich möchte
Sie um nichts in der Welt betrüben, aber ich bin großjährig, wie Sie wissen,
und ich fürchte, es liegt nicht in der Macht meines Onkels, mich daran zu
hindern!»
Das Höchste, was ihr zu entringen
war, war ein halbes Versprechen, nicht mehr an Häuser und Anstandsdamen zu
denken, bis sie sich an das Stadtleben und die Stadtgebäude gewöhnt haben würde.
Es wäre flegelhaft gewesen, das Haus ihrer Tante zu verlassen, kaum daß sie es
betreten hatte, meinte Venetia – ebenso flegelhaft wie ihr zu verraten, wie wenig ihr
an den wundervollen Plänen lag, die man für ihre Unterhaltung schmiedete. Mrs.
Hendred, die das Landleben haßte, war zu fest entschlossen, die Jahre, die
Venetia in Yorkshire verbracht hatte, gutzumachen, und war so aufrichtig und
eifrig darauf bedacht, alles zu tun, was der Nichte vermutlich Freude machen
würde, daß es Venetia sowohl Dankbarkeit wie gute Manieren unmöglich machten,
der Tante auch nur anzudeuten, daß sie sich einzig danach sehnte, in Ruhe
gelassen zu werden und allein sein zu können. Sie hatte das Gefühl, das Wenigste,
was sie tun konnte, war, zu lächeln und zumindest nach außen hin so zu tun, als
sei sie glücklich.
Sie entdeckte bald, daß in Mrs.
Hendreds Glaubensbekenntnis Bequemlichkeit und Vergnügen gleich an zweiter
Stelle hinter der Mode standen. Venetia hatte angenommen, daß sich Mrs. Hendred
als Mutter einer zahlreichen Nachkommenschaft ständig mit mütterlichen Sorgen
beschäftigen würde, und war zuerst erstaunt, als sie entdeckte, daß eine Frau,
die vor sanfter Liebe derart überfloß, sich damit zufriedengeben konnte, ihre
Kinder Erzieherinnen und Kindermädchen zu überlassen. Als sie ihre Tante besser
kennenlernte, amüsierte sie sich bei der Erkenntnis, daß Mrs. Hendred zwar ein
gutes Herz besaß, in ihrer eigenen Art jedoch genauso egoistisch war wie
seinerzeit ihr exzentrischer Bruder Francis. Sie hatte zwar die Mitglieder
ihrer Familie und einen großen Freundeskreis recht gern, aber ihre tiefsten
Gefühle reservierte sie für sich selbst. Sie war von Natur aus träge, so daß
eine halbe Stunde mit ihren Kindern zusammen das Höchste war, was sie zu
ertragen vermochte, ohne durch das Geplapper total erschöpft zu werden. Selbst
Theresa, knapp vor ihrem Debüt, tauchte mit ihrer nächstjüngeren Schwester
nach dem Dinner nur dann im Salon auf, wenn keine Gäste da waren, denn Mrs.
Hendred war davon überzeugt, daß es nur wenig Lästigeres gab als Familien, in
denen es den Töchtern, die noch nicht gesellschaftsfähig waren, erlaubt wurde,
sich unter die Gäste zu mischen. Was Mrs. Hendreds drei Söhne betraf, war der
älteste in Oxford, der zweite in Eton und der jüngste im Kinderzimmer.
Mr. Hendred war trotz seiner
schlechten Gesundheit selten länger als gerade nur einige Tage nacheinander am
Cavendish Square und schien einen großen Teil seiner Zeit damit zu verbringen,
daß er durch das Land kutschierte und Geschäfte privater oder öffentlicher
Natur erledigte. Venetia hatte nicht den Eindruck, daß er an der Aufzucht
seiner Sprößlinge oder der Führung seines Hauses sehr beteiligt war; doch wurde
er von allen sehr respektiert, seine wenigen Befehle wurden sofort und
blindlings ausgeführt und jede seiner
überlieferten Äußerungen als Entscheidung jeglicher Streitfrage akzeptiert.
Nachdem er Venetia in seinem Haus untergebracht und ihr gesagt hatte, daß sie
sich um das Geld, das sie brauchte, an ihn wenden solle, überließ er es seiner
Frau, sie zu unterhalten und beschränkte seine Aufmerksamkeiten darauf, hie und
da seine Hoffnung auszudrücken, daß sie sich gut unterhielte.
Bis zu einem gewissen Grad
unterhielt sie sich auch. Es wäre ja auch unmöglich gewesen, wenn sie bei ihrem
ersten Besuch Londons keine Zerstreuung und nichts Interessantes gefunden
hätte, wo ihr doch alles neu war und so vieles wunderbar erschien. Ihre Tante
mochte ja wünschen, daß sie sie in die Oper oder zu Almack hätte führen können,
und sagte dutzendmal in der Woche: «Wenn du doch nur während der Saison
hiergewesen wärst ...!», aber der auf dem Land aufgewachsenen Venetia war
Weitere Kostenlose Bücher