Georgette Heyer
es
ein Rätsel, wieviel Vergnügen man noch hätte in Tage pressen können, die
ohnehin schon mit Verpflichtungen vollgestopft waren. Zwar gab es zur Zeit nur
wenig Leute der großen Gesellschaft in London, aber es waren doch genug
Mitglieder des haut
ton, die Mrs.
Hendreds Meinung über das Landleben teilten, Anfang Oktober in Scharen in die
Metropole zurückgekehrt, um für Venetia schon eine Menschenmenge zu sein, und
es wurde eine sehr ansehnliche Zahl goldgeränderter Einladungskarten am
Cavendish Square abgegeben. Selbst das schäbigste Theaterstück war für einen
Menschen, der noch nie im Leben in einem Theater gewesen war, ein Vergnügen;
eine Fahrt im Hyde Park ging kaum vorüber, ohne daß Mrs. Hendred Venetia auf
irgendeine bedeutende Persönlichkeit aufmerksam machte; und ein Spaziergang
durch die Bond Street, die mondänste Bummelstraße der Stadt, war voll von
Interessantem und Unterhaltsamem, denn man begegnete hier sowohl den
tonangebenden Leuten der Mode von erstaunlicher Eleganz, wie es auch hier
bestimmt die schönsten Läden der Welt zu betrachten gab. Venetia war durchaus
nicht so erhabenen Geistes, daß sie Mode verachtet hätte – sie besaß von Natur
aus einen guten Geschmack, und die Kleider, die sie aus Yorkshire mitgebracht
hatte, behoben die Ängste Mrs. Hendreds, daß Venetia am Ende eine Landpomeranze
war, und hatten sogar der Kammerzofe einige Worte seltenen Lobes entlockt; aber
Venetia war durchaus bereit, ihre Garderobe zu ergänzen, und fand sogar viel
Vergnügen daran, sich nach dem letzten Schrei der Mode herauszuputzen. Auch an
der Gesellschaft ihrer Tante fand sie dauerndes Vergnügen, denn da sie ihr
ganzes Leben lang mit egoistischen Menschen zusammengelebt hatte, befremdete
sie Mrs. Hendreds Entschlossenheit, sich durch nichts in ihrer Behaglichkeit
stören zu lassen, durchaus nicht, sondern sie hielt die Tante weiterhin für komisch und hatte sie sehr gern.
Aber hinter all ihrem Genießen lag ein dumpfer Schmerz, ein Unglücklichsein,
nie vergessen, das manchmal zu brennender Qual wurde. Sie konnte Damerel nicht
aus ihrem Sinn verbannen. Immer wieder dachte sie unwillkürlich daran, was sie
ihm etwa über die St.-Pauls-Kathedrale erzählen würde, oder wie er lachen
würde, wenn er hörte, daß Mrs. Hendred überzeugt war, eine strikte
Abmagerungsdiät zu befolgen, wenn sie bei jedem Mahl einen Teller harten
Zwiebacks neben sich niederstellen ließ, während sie so delikate Gerichte wie
Trüffelpastete und Hummerpastetchen genoß. Während noch das spitzbübische
Lächeln um Venetias Lippen zuckte, erinnerte sie sich, daß sie ja nie wieder
einen Spaß mit ihm teilen würde, ihn vielleicht überhaupt nie wieder sehen
würde, und dies stieß sie in eine derartige Verzweiflung, daß sie verstand,
warum Leute wie der arme Sir Samuel Romilly Selbstmord begingen, und sie sie um
ihre Flucht aus der Hoffnungslosigkeit beneidete. Sie lebte nur für Aubreys seltene
Briefe, aber die brachten ihr wenig Trost. Er war ein schlechter
Briefschreiber, und die Neuigkeiten, die er ihr mitteilte, betrafen
hauptsächlich Undershaw. Wenn er Damerel erwähnte, dann nur, um zu erzählen, er
sei mit ihm auf der Jagd gewesen oder hätte ihn dreimal nacheinander
schachmatt gesetzt.
Sie war kein Mensch, der seine
Gefühle zur Schau trug, und ließ sich weder zu Tränenfluten hinreißen noch zu
Anfällen lethargischer Geistesabwesenheit. Nur der wehe Blick in ihren Augen
verriet sie manchmal und verursachte ihrer Tante ein unbehagliches Gefühl.
Im großen und ganzen kam sie mit
Mrs. Hendred sehr angenehm aus, und Mrs. Hendred war sehr erfreut über sie.
Sie war eine aufmerksame Gefährtin; sie kleidete sich mit bewundernswert gutem
Geschmack; ihre Manieren waren anmutig; und statt vor Fremden schüchtern und
stumm zu sein, wie man es eigentlich erwartet hätte, war sie vollkommen sicher
und konnte sich ebenso leicht mit einem klugen wie mit einem dummen Mann
unterhalten.
Mrs. Hendred fand nur einen einzigen
Punkt an ihrem Betragen auszusetzen, und das war ihr unheilbarer
Unabhängigkeitsdrang. Nichts konnte sie davon überzeugen, daß es unpassend für
sie sei, zu meinen, sie könne ihr Leben führen, ohne ältere Menschen zu Rate zu
ziehen, und entschieden unschicklich, allein in London spazierenzugehen. Fast
in jeder anderen Hinsicht war Venetia bereit, ihr nachzugeben und sich sogar
ihrem Urteil zu beugen, aber auf ihre Freiheit verzichten wollte sie nicht. Sie
ging allein einkaufen; sie ging
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