Georgette Heyer
Venetia sofort zu und empfahl
ihm – da Mr. Hendreds Kutscher ihren Wagen erst in einer Stunde zum Theater
bringen würde –, sofort eine Droschke zu holen. Er ging unverzüglich weg, um
mit dem Türhüter zu konferieren; und Mrs. Hendred, die sich von den beiden
Logenwärtern gestützt zum Treppenhaus bringen ließ, sagte mit versagender
Stimme, sie fürchte, ihre fatale Unpäßlichkeit sei der üblen Wirkung von
Schnepfe ä la Royale zuzuschreiben. «Oder war es vielleicht die croque
embouchéc aux pistaches, aber ich möchte das um alles in der Welt nicht Mr.
Yardley gestehen!»
Venetia antwortete darauf mit
bemerkenswerter Ruhe und machte keinerlei Versuch, weder im Theater, noch als
sie neben ihrer Tante in dem etwas übelriechenden Vehikel saß, das für ihren
Transport besorgt worden war, die Frage zu wiederholen, die eine so große Rolle
dabei gespielt hatte, Mrs. Hendred aus dem Sattel zu werfen. Aber als Mrs.
Hendred, sowie sie am Cavendish Square ankamen, ihre Absicht verkündete, sich
sofort zu Bett zu begeben, sagte Venetia mit mehr Erheiterung als Sorge: «Ja,
wenn Sie es wünschen, Ma'am, aber ich warne Sie, ich bin nicht so leicht
abzuspeisen. Ich gehe mit Ihnen!»
«Nein, nein, liebes Kind! Ich spüre,
daß ich einen meiner Krampfanfälle bekomme! Das heißt, ich kann mir nicht
vorstellen, was du eigentlich – Worting, warum schicken Sie nicht um Miss Bradpole,
wenn Sie doch sehen können, wie schlecht es mir geht?»
Bevor noch Worting seine Herrin
daran erinnern konnte, daß sie ihrer Kammerzofe bis elf Uhr Urlaub gegeben
hatte, schaltete sich Edward ein, der die Damen ins Haus begleitet hatte, und
sagte feierlich: «Ich glaube, Ma'am, bedenkt man es richtig, so wäre es jetzt
das Klügste, wenn Sie Ihre Nichte von dem Umstand informieren würden, der es
unglücklicherweise nötig machte, das Theater vor dem Aktschluß zu verlasen.»
«Du kannst dich darauf verlassen,
daß es das Klügste sein wird!» sagte Venetia. «Willst du bitte meine Tante in
den Salon hinaufbegleiten, während ich für sie eine Dosis Hirschhornsalz mit
Wasser mische? Darauf werden Sie sich sofort viel besser fühlen, Ma'am!»
Während sie noch sprach, lief sie
leicht die Treppe hinauf und beachtete das protestierende Stöhnen nicht, das
ihr folgte.
Als sie gleich darauf wieder den
Salon betrat, fand sie ihre Tante in einen Lehnstuhl hingegossen, mit dem
Ausdruck eines Menschen, der auf die schlimmsten Schicksalsschläge gefaßt ist.
Edward, mit übernatürlich feierlichem Gesicht, stand vor dem Kamin; und
Worting, der die Kerzen angesteckt und das Feuer angeschürt hatte, bereitete
sich zögernd vor, sich zurückzuziehen.
Mrs. Hendred beäugte widerwillig das
Getränk, das ihre Nichte zubereitet hatte, nahm aber das Glas mit einem
schwachen «Danke» entgegen. Venetia blickte über die Schulter, um auch sicher
zu sein, daß sich die Tür fest hinter Worting geschlossen hatte, und sagte dann
ohne Umschweife: «Wer war die Dame, Ma'am?»
Mrs. Hendred erschauerte; aber
Edward, der augenscheinlich die Führung der Sache auf sich genommen hatte,
antwortete bedächtig: «Es ist Lady Steeple, meine liebe Venetia. Sie war, wie
mich Mrs. Hendred informierte, in Begleitung ihres Gatten, Sir Lambert Steeple.
Ich bin mir jedoch bewußt, daß dir diese Namen nur wenig sagen können.»
«Milde ausgedrückt, Edward!»
unterbrach ihn Venetia. «Sie sagen mir überhaupt nichts, und ich wünschte
sehr, daß du meiner Tante erlaubst, selbst zu antworten! Ma'am, als ich sie das
erste Mal erblickte, hatte ich das seltsame Gefühl – aber ich wußte, daß es
unmöglich ist, und dachte, es sei nur eine jener Ähnlichkeiten, für die es
keine Erklärung gibt. Nur starrte sie mich derart intensiv an und lenkte die
Aufmerksamkeit ihres Gatten auf mich und hob die Hand, wenn sie mir auch nicht
direkt zuwinkte, aber – aber doch so, als meinte sie es als ein Zeichen des
Erkennens! Es kann natürlich nicht sein, aber mich durchzuckte die phantastischste
Vorstellung! Ich – ich dachte, es sei meine Mutter!»
Mrs. Hendred stöhnte und nahm einen
Schluck Hirschhornsalz. «Oh, mein liebes Kind!»
«Dein schnelles Erfassungsvermögen,
Venetia, hat es mir leichter gemacht, mich der unerfreulichen Pflicht zu
entledigen – denn als dies empfinde ich es unter diesen unvorhergesehenen
Umständen –, dir zu enthüllen, daß es tatsächlich deine Mutter ist», sagte
Edward.
«Aber meine Mutter ist doch tot!»
rief Venetia aus. «Sie ist seit
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