Georgette Heyer
Jahren tot!»
«Oh, wenn sie das bloß gewesen
wäre!» Mrs. Hendred stellte das Glas, das sie gehalten hatte, nieder und fügte
bitter hinzu: «Ich habe es schon damals gesagt, und ich werde es immer wieder sagen! Ich wußte doch, daß sie nie
aufhören wird, uns Kummer zu machen! Und gerade jetzt, als wir dachten, daß sie
sich endgültig in Paris niedergelassen hätte – ich würde mich nicht wundern,
wenn sie absichtlich zurückgekehrt wäre, um dich zu ruinieren, mein armes Kind,
denn was hat sie je getan als Wirbel anzurichten, abgesehen davon, daß sie
eine höchst unnatürliche Mutter gewesen ist!»
«Aber wie ist das möglich?!» fragte
Venetia, sah völlig verblüfft aus und war es auch wirklich. «Mama – Lady
Steeple? Dann also ...»
«Ich staune nicht, daß es dir
schwerfällt, das zu verstehen», sagte Edward gütig. «Dennoch bilde ich mir
ein, daß ein Augenblick ruhiger Überlegung dir sagen wird, wie es gewesen sein
muß. Laß mich vorschlagen, meine liebe Venetia, daß du dich auf diesen Stuhl
setzt, während ich ein Glas Wasser für dich besorge. Es war ein Schock für
dich. Das kann auch gar nicht anders sein, und obwohl dir die Wahrheit enthüllt
werden mußte, war es meine aufrichtige Hoffnung, daß diese Notwendigkeit nicht
eingetreten wäre, bevor du im Leben endgültig eingerichtet worden wärst.»
«Nun, natürlich war es ein Schock
für mich. Aber ich brauche kein Wasser, danke, sondern nur, daß man mir die
ganze Wahrheit sagt, und ja nicht die Stückchen, Edward, wie du sie für angebracht
hältst. Ich schließe also daraus, daß meine Eltern geschieden wurden. Guter
Gott, war es genauso wie bei – ist meine Mutter mit diesem Mann
durchgebrannt?»
«Ich glaube, Venetia, es ist unnötig
für dich, mehr als die bloßen Tatsachen zu erfahren», sagte Edward
zurückhaltend. «Ja, ich vertraue darauf, daß du, wenn du ein bißchen deine dir
gemäße Gemütsverfassung wiedergewonnen hast, gar nicht mehr erfahren willst.
Das Thema ist kein erbauliches, noch eines, über das ich es wagen kann, dich
aufzuklären. Du mußt dir ins Gedächtnis rufen, daß zur Zeit jenes unglücklichen
Ereignisses ich selbst noch in der Schule war.»
«Oh, um Himmels willen, Edward, mußt
du wirklich so altväterlich sein?» fragte sie empört. «Tante: ist sie
durchgebrannt?»
Mrs. Hendred begann nun, da die
Neuigkeit aus dem Sack war, wieder aufzuleben. Sie setzte sich auf, rückte ihr
elegantes Hütchen zurecht und antwortete ziemlich ruhig: «Nein, mein Liebes.
Nein, durchgebrannt ist sie nicht, genaugenommen. Irgendwie möchte man es fast
wünschen – nicht, daß ich sagen will –, nur war es nicht das erste Mal, was es
noch schlimmer zu machen schien, weil die Leute schon seit Jahren redeten, was
es alles so unangenehm machte, obwohl sie im Anfang so diskret war, daß ich
wirklich nicht die leiseste Ahnung hatte – das heißt bis zu der Affäre mit –
na, ist ja egal! Es hat überhaupt keinen Zweck, denn damals lebte der General
noch, der Arme, und er überredete Francis, es ihr zu verzeihen, denn er
schwärmte regelrecht für sie. So etwas hat es einfach kein zweites Mal gegeben,
denn ich glaube nicht, daß ihr auch nur ein Deut an ihm lag, oder an sonst
jemandem! Eine herzlosere ...»
«Moment, Ma'am, Moment! Was für ein
General?»
«Heiliger Himmel, Venetia, natürlich
ihr Vater – dein Großvater, obwohl du dich natürlich nicht an ihn erinnern
kannst. General Chiltoe, ein so liebenswürdiger, entzückender Mann! Jeder hatte
ihn gern – ich selbst auch. Sie war sein einziges Kind, und es war ihm nichts
gut genug für sie, denn seine Frau starb, als sie noch ein Säugling war, das
heißt, ich meine natürlich die Tochter, was vermutlich bestimmt daran schuld war.
Sie war derart verwöhnt, und man hat ihr in allem nachgegeben, daß jeder schon
voraussagen konnte, wie es einmal werden würde, und ich kann dir versichern,
daß die arme Mama – deine liebe Großmama, mein Liebes – Francis bat und
anflehte, nicht um sie anzuhalten, aber es hatte gar keinen Zweck! Er war
völlig von Sinnen, und im allgemeinen, weißt du, hatte er einen höchst
überlegenen Verstand, und ich versichere dir, daß ihm Mama nicht nur ein
einziges taugliches Frauenzimmer vorführte, sondern gleich mindestens ein Dutzend!
Aber seine Gefühle erwärmten sich nie im geringsten – und du weißt, meine
Liebe, obwohl ich das nicht zu dir sagen sollte, warmherzig war er nicht
veranlagt! Aber kaum hatte er Aurelia
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