Georgette Heyer
verbannen.
Während Mrs. Hendreds Geist in der
Gastronomie umherschweifte, beschäftigte sich Venetia damit, Pläne zu
schmieden und sie wieder zu verwerfen, wie sie sich gesellschaftlich ruinieren
könnte. Sie hatte ebenso schnell wie ihre Tante entschieden, daß es nichts
nützen würde, Damerel zu sagen, wie wenig ihr an der Welt oder deren Meinung
lag. Er hatte sie von Anfang an «sein grünes Ding» genannt. Ihr Instinkt sagte
ihr, daß er sie nach einem Monat Aufenthalt in London nicht für reifer halten
würde. Sie dachte – aber mit Zärtlichkeit –, daß er trotz all seiner großen
Erfahrung mit Frauen genauso dumm wie Edward Yardley oder ihr kluger Onkel
sei. Er glaubte, weil sie ihre Weltkenntnisse aus zweiter Hand hatte, kannte
sie auch ihr eigenes Herz nicht besser, und hatte sich anscheinend dazu
überredet, daß sie innerhalb absehbarer Zeit, die sie in mondänen Kreisen
verbrachte, nicht nur dankbar dafür sein würde, den – wie hatte er es genannt?
–, den Klauen des Teufels entronnen zu sein, sondern sogar mit irgendeinem
tugendhaften Herrn von erstklassiger Herkunft, von Reichtum und Rang glücklich
verlobt sein würde. Das war schon schlimm genug; noch viel schlimmer – oder
jedenfalls schwieriger zu überwinden – war jener Aspekt, den ihr die Tante vor
Augen gestellt hatte. Ein Weltmann wie er wußte, wie die Welt über seine
Heirat mit ihr urteilen würde – und wußte es nicht nur, sondern teilte die
Meinung. Er hatte ihr gesagt, seine Verworfenheit sei nicht so weit gegangen,
mit den Jungen und Unschuldigen herumzuspielen. Er hatte zwar nie ans Heiraten
gedacht, was ihn betraf, aber sie erriet, daß er die Sache in genau dem
gleichen Licht betrachtete. Er hatte sie auf einen für ihn unerreichbar hohen
Platz gestellt, und wie sie ihm demonstrieren sollte, daß sie sehr gut in
seiner Reichweite stand, war ein Problem, für das sie vorderhand keine Lösung
sah. Sie erinnerte sich, wie ihr Plan, Aubrey das Haus zu führen, seinen Entschluß
fast umgestoßen hatte. «Alles eher als das», hatte er ausgerufen. Eine
Zeitlang spielte sie mit dem Gedanken, das Haus in Hans Town sofort zu mieten
und es Aubrey als vollendete Tatsache mitzuteilen. Aber sie verwarf diesen
Plan bald, zusammen mit allen anderen, weil sie nicht ganz sicher war, ob es
nicht doch in seiner Macht stand, ihn zu vereiteln. Denn er hatte mehr Einfluß auf Aubrey, als sie Edward eingestanden
hatte; außerdem konnte er sich vielleicht, da er ja anscheinend mit ihrem Onkel
diskutiert hatte, darauf verlassen, daß Mr. Hendred diesen Plan an seiner
Stelle vereiteln würde. Im Laufe der Zeit konnte sie ihn ja überzeugen, daß sie
es vorzog, eine alte Jungfer zu werden, statt die glänzende Partie zu machen,
die er anscheinend für ihr Schicksal hielt, aber sie wünschte weder solange
dahinzuschmachten, bis die öffentliche Meinung sie als heiratsfähig
abgeschrieben hatte, noch hegte sie Illusionen über ihren Liebsten – das Leben
eines enthaltsamen Junggesellen, der über sein verlorenes Bräutchen trauerte,
war nichts für ihn –, ihm sah es bei weitem ähnlicher, daß er Vergessen in
Exzessen suchen würde, und das nächste, was man wahrscheinlich von ihm hören
würde, war, daß er mit irgendeinem blendenden leichten Frauenzimmer durch ganz
Europa paradierte. Im Augenblick war er durch Aubreys Anwesenheit in seinem
Haus ans Yorkshire gebunden; aber Aubrey konnte nun jeden Tag die Priory
verlassen, und dann, meinte Venetia, würde Damerel wirklich für sie verloren
sein.
Ihre Befürchtungen und Pläne ließen
keinen Raum für belanglosere Überlegungen. Sie antwortete mechanisch auf den
Vorschlag ihrer Tante für die täglichen Vergnügungen, begleitete sie pflichtgetreu
bei einer Einkaufstour und zu einem Konzert, ihr Gehirn in Aufruhr, während
ihre Lippen alberne Höflichkeiten murmelten. Da Mrs. Hendred Venetia in einer
so nachgiebigen Stimmung sah, brachte sie das Thema von Edwards geplantem Abend
wieder aufs Tapet und war entzückt, als sie auf keinen Widerspruch stieß. Sie
hatte zwar den Verdacht, daß Venetia kaum gehört hatte, was man zu ihr sagte,
war aber entschlossen, sie beim Wort zu nehmen, das sie so geistesabwesend
gegeben hatte. Edward hatte sie eingeladen, mit ihm im Clarendon Hotel zu
speisen, und Mrs. Hendreds Meinung nach konnte diese verschwenderische Geste
nicht verfehlen, ihn Venetia zu empfehlen. Man konnte dort am besten und
teuersten in London dinieren, denn der Koch war ein Franzose, und
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