Georgette Heyer
erstaunten Tante ein
Gesicht, das ein einziges Lachen war. «Oh, meine liebe Ma'am, bitte, bitte,
schauen Sie nicht so schockiert drein! Können Sie denn nicht verstehen, wie
absurd – nein, ich sehe, das können Sie nicht! Aber wenn er noch einen
Augenblick länger geblieben wäre, hätte ich vor Lachen gebrüllt! Schmerzliche
Neuigkeit? Ich war im Leben noch nie so hocherfreut!»
«Aber, Venetia!» sagte Mrs. Hendred
atemlos. «Meine liebste Nichte, du bist wirklich hysterisch!»
«Ich versichere Ihnen, ich bin es
nicht, liebste Ma'am – obwohl ich staune, wenn ich an all den Unsinn denke, der
über meinen Ruf und meine Aussichten zusammengeredet worden ist, daß ich nicht
platt auf dem Boden liege und mit den Füßen strample! Damerel muß doch die
Wahrheit gewußt haben! Sie muß ihm einfach bekannt gewesen sein. Ja, ich bin
überzeugt, er ist mit meiner Mama sogar sehr gut bekannt, denn sie schaute mir
genau nach der Sorte Frauen aus, die er kennen muß!
Ja, und wenn ich es jetzt bedenke, dann sagte er mir einmal etwas, das
beweist, daß er sie kennt! Nur war er in einer seiner scherzhaften Stimmungen,
und ich dachte mir nichts dabei. Aber – aber wenn er alles über meine Mutter
wußte, warum hat er dann geglaubt, es wäre mein Ruin, wenn ich ihn heirate? Das
ist doch einfach idiotisch!»
Mrs. Hendred, die sich unter diesem
frischen Schock wandt, sagte: «Venetia, ich flehe dich inständigst an ...! Es
ist ja genau das, was es am allerwichtigsten macht, daß du ihn ja nicht
heiratest! Heiliger Himmel, Kind, bedenke nur, was man sagen würde! < Wie die
Mutter, so die Tochter. > Wie oft habe ich dir eingeprägt, daß es deine
Situation geradezu gebieterisch verlangt, daß du dich mit dem größten Anstand
beträgst! Der Himmel weiß, es ist schwierig genug – obwohl dein Onkel sagt, er
sei überzeugt, daß du sehr taugliche Anträge bekommst, denn er ist der Meinung,
und auch Lord Damerel zweifellos, wenn man sieht, daß du ein unvergleichliches
Mädchen bist – überhaupt nicht wie deine Mutter, sosehr du ihr auch ähnlich
sehen magst, was, wie ich zugeben muß, geradezu ein Jammer ist –, wird kein
vernünftiger Mann zögern – obwohl, je mehr ich an Mr. Foxcott denke, um so mehr
zweifle ich, was ihn betrifft, weil...»
«Verschwenden Sie keinen einzigen
Gedanken mehr an ihn!» sagte Venetia. «Verschwenden Sie überhaupt keinen
einzigen Gedanken mehr an irgendeinen passenden Bewerber, den Sie für mich
gefunden haben, liebe Ma'am! In mir steckt mehr von meiner Mama, als Sie nur
im geringsten ahnen, und der einzig passende Gatte für mich ist – ein
Wüstling!»
19
Wenn sich Mrs. Hendred in London
aufhielt, wurde ihr das Frühstück immer auf einem Tablett ins Schlafzimmer
hinaufgebracht. Venetia hingegen pflegte wie viele andere Damen energischeren
Wesens, als Mrs. Hendred es besaß, beizeiten aufzustehen und auszugehen,
entweder um langweiligere Einkäufe zu erledigen oder in einem der Parks einen
Spazierging zu machen. Das Frühstück wurde ihr nach ihrer Heimkehr in einem
Salon auf der Rückseite des Hauses serviert, und die Dienerschaft schätzte sie
derart hoch, daß Worting persönlich sie bediente, statt sein Amt dem zweiten
Butler zu übertragen. Worting hatte ebenso wie Miss Bradpole auf den ersten
Blick erkannt, daß Mrs. Hendreds Nichte aus Yorkshire kein Fräulein vom Land war, das sich
in London bewähren sollte, oder eine arme Verwandte, die sich keinerlei
außergewöhnliche Höflichkeit erwartete. Miss Lanyon war Klasse, und man merkte
gut, daß sie in einem aristokratischen Haus zu herrschen gewöhnt war. Außerdem
war sie eine sehr angenehme junge Dame, der zu dienen ein Vergnügen war, denn
sie war weder zu vertraulich noch hochgestochen. Sie konnte ein freches
Londoner Stubenmädel mit einem einzigen Blick bändigen, aber Worting hatte so
manchen Plausch mit ihr im Frühstückszimmer genossen. Sie besprachen so
interessante Themen wie häusliche Wirtschaftswissenschaft, das Stadtleben im
Gegensatz zum Landleben und die Veränderungen, die sich im Lauf der Jahre
vollzogen hatten, seit Worting seine vornehme Laufbahn eingeschlagen hatte. Er
war es, der Venetias wichtigster Führer durch London wurde, denn sie hielt es
durchaus nicht unter ihrer Würde, ihn um seinen Rat zu fragen. Er sagte ihr,
welche Stätten eines Besuches würdig und wie sie zu erreichen waren, und
wieviel Trinkgeld für Sesselträger oder Droschkenkutscher angemessen war.
An dem Morgen nach Edward
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