Georgette Heyer
ihr Kleid von
einem besonders stacheligen Brombeerzweig loszumachen, als eine amüsierte
Stimme sagte: «Oh, wie voll Dornen ist doch diese Welt der Arbeit!»
Erschrocken wandte sie den Kopf und
entdeckte, daß sie von einem hochgewachsenen Mann beobachtet wurde, der auf
einem schönen Grauschimmel saß. Es war ein Fremder, aber Stimme und Kleidung
verrieten seinen Stand, und es dauerte nur einen Augenblick, bis sie erriet,
daß er der Verruchte Baron war, der da vor ihr stand. Sie betrachtete ihn mit
ehrlichem Interesse, wobei sie ihm unbewußt eine ausgezeichnete Sicht auf ihr
bezauberndes Gesicht gewährte. Er zog die Brauen hoch, schwang sich aus dem
Sattel und kam mit langen, lockeren Schritten auf sie zu. Sie kannte keine modischen
Männer, aber obwohl er wie jeder andere Landedelmann gekleidet war, lag doch
ein ganz gewisses Etwas um seine Reithosen und seinen Rock aus modischem
Braunrot. Den Anzug hatte kein Provinzschneider gemacht, und kein Geck vom
Lande hätte ihn mit einer derart sorglosen Eleganz tragen können. Er war größer,
als Venetia zuerst angenommen hatte, schlaksig, und trug sich mit einer leisen
Andeutung von Arroganz. Ein Lächeln kräuselte die Lippen, aber Venetia hatte
noch nie Augen gesehen, die derart zynisch blasiert dreinsahen.
«Nun, schöne Sünderin, es geschieht
dir ganz recht, nicht?» sagte er. «Stillgestanden!»
Gehorsam rührte sie sich nicht,
während er ihren Rock von den Brombeerranken losmachte. Als er sich
aufrichtete, sagte er: «Da! Aber ich treibe immer eine Strafe von denen ein,
die mir meine Brombeeren stehlen. Laß dich einmal anschauen!»
Bevor sie sich noch von ihrem
Erstaunen erholt hatte, in einem solchen Stil angesprochen zu werden, hatte er
schon einen Arm um sie gelegt und mit der freien Hand ihren Strohhut zurückgestreift.
Mehr in Zorn als Angst versuchte sie, ihn wegzustoßen, und wehrte sich wütend.
Er beachtete es überhaupt nicht; er hielt sie nur um so fester; etwas, das
keine Blasiertheit mehr war, glitzerte in seinen Augen, und er brachte heraus:
«Aber das ist ja die Schönheit persönlich ...!»
Und dann fand sich Venetia brutal
geküßt. Mit hochroten Wangen und blitzenden Augen kämpfte sie angestrengt, um
von einem stärkeren Griff loszukommen, als sie je erlebt hatte. Aber ihre Anstrengungen
ließen Damerel nur lachen. Sie verdankte ihre Erlösung Flurry. Als der Spaniel
aus dem Unterholz auftauchte und entdeckte, daß seine Herrin sich gegen die
Arme eines Fremden wehrte, geriet er in große seelische Aufregung. Der Instinkt
drängte ihn, zu ihrer Rettung zu eilen, aber eine verschwommen verstandene
Vorschrift verbot es ihm, etwas zu beißen, das auf zwei Beinen ging. Er
versuchte zunächst einen Kompromiß und bellte hysterisch. Das wirkte nicht –
also siegte der Instinkt.
Da Damerel Reitstiefel trug, floß
durch Flurrys heldenmütigen Angriff kein Blut, aber er veranlaßte ihn, auf den
Spaniel hinunterzuschauen, wobei er seinen Griff um Venetia gerade genug lokkerte,
daß sie imstande war, sich loszuwinden.
«Sitz!» befahl Damerel.
Flurry, der die Stimme eines Herrn
und Meisters erkannte, setzte sich prompt hin, mit hängenden Ohren und flehend
wedelndem Schwanz.
«Was, zum Teufel, hast du dir dabei
gedacht, he?» sagte Damerel, packte ihn beim Unterkiefer und hielt ihm den Kopf
hoch.
Flurry erkannte auch diese Stimme
und tat, sehr erleichtert, sein Bestes, um zu erklären, daß der bedauerliche
Zwischenfall aus einem Mißverständnis entstanden war. Venetia, die, statt die
Gelegenheit zu ergreifen und davonzulaufen, sich ärgerlich die Bänder ihres
Strohhutes band, rief aus: «Oh, kannst du überhaupt keinen Unterschied machen,
du idiotisches Tier?»
Damerel, der den reuigen Flurry
tätschelte, schaute auf und seine Augen wurden schmal.
«Und was Sie betrifft, Sir», sagte
Venetia und begegnete dem prüfenden Anstarren mit einem flammenden Blick,
«machen Ihre Zitate Ihre Annäherungsversuche um keine Spur akzeptabler für mich
– und verführen mich nicht zu dem Glauben, daß Sie etwas anderes seien als < ein lästiger Schurke durch und durch! > »
Er brach in
Lachen aus. «Bravo! Woher haben Sie das?»
Venetia, der plötzlich der Rest des
Zitats einfiel, antwortete: «Wenn Sie das nicht wissen, werde ich es Ihnen
bestimmt nicht sagen. Dieses Stück paßt gerade richtig auf Sie, aber der
übrige Zusammenhang ginge nicht.»
«Oho! Jetzt bin ich aber wirklich
neugierig geworden! Ich erkenne die Fachfrau und sehe, daß
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