Georgette Heyer
nichts auszusetzen
fand, wurden die Gedecke entfernt, die Karaffen auf den Tisch gestellt, und die
beiden Freunde ließen sich zu einem Pikettspiel nieder. Bald darauf wurden sie
jedoch in dieser Beschäftigung durch Lord Wrotham unterbrochen, der, da Ferdy
bei seiner vormittägigen Mission so jämmerlich versagt hatte, zu Mr. Ringwood
hereinschaute, um ausfindig zu machen, was nun geschehen sollte, um Lady Sherry
davor zu bewahren, sich
in den Augen der vornehmen Welt unmöglich zu machen. Mr. Ringwood erklärte, daß
er sich entschlossen habe, am nächsten Vormittag in der Half Moon Street
Besuch zu machen; und die drei Herren beklagten eben die Abwesenheit eines
vierten, um eine Partie Whist zu komplettieren, als man neuerlich ein Klopfen
an der Haustüre vernahm. Die Hoffnung, daß dies die Ankunft einer mitfühlenden
Seele auf der Suche nach Unterhaltung ankündigte, wurde eine Minute darauf
durch Hero zerstört, die, einen Vogelkäfig in einer Hand und die
Muschelgold-Uhr unter den andern Arm gepreßt, das Zimmer betrat. Sie hatte
einen Mantel um den Hals geknüpft, dessen Kapuze ihr vom Haupte glitt; sie sah
beunruhigend blaß aus, und an ihren Wangen hingen Tränen.
«Gil!» rief
sie mit herzzerreißender Stimme. «Helfen Sie mir! Oh, bitte, werden Sie mir
helfen?»
Die drei
Herren waren, als Hero das Zimmer betrat, unwillkürlich aufgesprungen, sie
standen nun wie angewurzelt da und starrten sie in bestürzter Verwunderung an.
Mr. Ringwood, der sich voll Entsetzen seiner zwanglosen Kleidung bewußt wurde,
ließ den feigen Wunsch erkennen, im Hintergrund zu verschwinden. Es war Ferdy,
der seine guten Umgangsformen zuerst wieder fand, vortrat und ernst sagte:
«Alles, was in unserer Macht steht, Kätzchen! Gil ist nicht ganz wohl – hatte
eine schreckliche Erkältung. Er ist nämlich in einen Wassergraben gestürzt.
Erlauben Sie, daß ich Ihnen die Uhr abnehme.»
Sie
überließ sie ihm, reichte George den Vogelkäfig und sagte erregt: «Oh, danke,
Ferdy. Ich wußte nicht, daß Sie hier sein werden. Und auch Sie, George. Ach,
Gil, es tut mir so schrecklich leid, daß Sie nicht wohl sind, aber was soll ich
tun? Wenn Sie mir nicht helfen können, dann weiß ich nicht, wohin ich mich
wenden soll, und ich habe niemanden, der mir rät, oh, ich bin völlig
verzweifelt!»
«Du lieber
Gott!» rief George aus, der mit dem Vogelkäfig in der Hand dastand und Hero
anstarrte. «Wie ist denn das möglich? Was ...»
Mr.
Ringwood raffte sich auf, versicherte Hero, daß seine Erkältung der
Vergangenheit angehöre, und zog sie an das Kaminfeuer. «Bitte, Kätzchen, setzen
Sie sich und seien Sie ganz beruhigt! Ich werde Ihnen selbstverständlich
helfen.»
«Wir alle
werden Ihnen helfen!» schaltete Ferdy ein. «Größtes Vergnügen der Welt! Keine
Ursache, sich Sorgen zu machen – nicht die geringste Ursache der Welt!»
«Sie ist
bis auf die Knochen durchkältet», sagte Mr. Ringwood, der ihre schmalen Hände
in den seinen hielt. «Um Gottes willen, George, stell den Vogelkäfig nieder und
schenk Hero einen Tropfen Brandy ein.»
Hero ließ
sich in einen Fauteuil am Kaminfeuer nötigen, verschluckte sich an dem Brandy
und sagte: «Oh, danke, das genügt, bitte. Nur meine Hände sind kalt, weil
draußen so ein Wind weht.»
«Sie sind
doch nicht etwa zu Fuß hergekommen?» rief Ferdy aus, als ob die Half Moon
Street im entferntesten Stadtviertel läge.
«Doch, was
sollte ich denn sonst tun? O Gil, versprechen Sie mir – Sie alle! –, daß Sie
mich nicht an Sherry ausliefern werden.»
Drei
Augenpaare hefteten sich auf ihr Gesicht. «Nicht – nicht ausliefern –
Kätzchen, sind Sie verrückt geworden?» stotterte Mr. Ringwood.
«Nein»,
erwiderte sie und rang die Hände. «Ich bin wirklich nicht verrückt, Gil, obwohl
ich es werden würde, oder vielleicht würde ich auch sterben, wenn er mich
fände.»
Ferdy
starrte sie mit offenem Mund an. Er schluckte einige Male, dann sagte er in
besänftigendem Ton: «Sie denken bestimmt an jemand andern, Kätzchen. Doch nicht
an Sherry. Ist ein äußerst gutmütiger Junge, mein Cousin Sherry. Dachte, Sie
haben ihn gern.»
George, die
Lehne eines Stuhls umklammernd, fragte mit einer Stimme, die Böses für den
abwesenden Viscount ahnen ließ: «Was hat Ihnen Sherry getan?»
«Bis jetzt
hat er noch nichts getan. Deshalb lief ich ihm ja davon ... um ihm
zuvorzukommen. Ich könnte es nicht ertragen, ich könnte es nicht!»
«Bei Gott!»
schwor George, und seine blitzenden
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