Georgette Heyer
die Nähe komme! Nun scheint es
jedoch, daß auch du Angst hast, ihre Adresse zu enthüllen! Das spricht Bände,
Vetter Rotherham!»
«Ich habe nicht das geringste
dagegen, ihre Adresse zu enthüllen», antwortete Rotherham. «Sie ist bei ihrer
Großmutter in Bath auf Besuch.»
«In Bath!» rief Gerard, und sein
Gesicht strahlte.
«Ja, in Bath. Aber du, mein lieber
Gerard, wirst nicht nach Bath fahren. Wenn du dieses Haus verläßt, wirst du
nach London oder nach Scarborough zurückkehren, wie du willst – das ist mir
alles eins!»
«O nein, das werde ich nicht!»
entgegnete Gerard. «Es liegt nicht in deiner Macht, mich zu etwas zu zwingen!
Du hast mir gesagt, wo ich Emily finden kann, und ich werde sie finden! Sie muß
mir mit ihren eigenen Lippen sagen, daß sich ihre Gefühle geändert haben, daß
sie über ihre Verlobung glücklich ist, bevor ich es glaube! Ich sage dir das,
weil ich es verachte, dich zu hintergehen! Du sollst nie sagen können, daß ich
zu ihr ging, ohne dich von meinen Absichten zu unterrichten!»
«Ich werde nie sagen können, daß du
überhaupt hingegangen bist», sagte Rotherham, stieß seinen Stuhl zurück und
erhob sich plötzlich. «Und ich sage dir auch, warum, junger Mann! Du traust
dich nicht! Denn solange ich mit dir Geduld habe, krähst du herausfordernd!
Aber sobald meine Geduld reißt, ist's aus mit deiner Kräherei! Hinter all dem
Schwulst hast du eine derartige Angst vor mir, daß ein Blick genügt, und du
duckst dich!» Er lachte schallend. «Du, und meinem Befehl nicht gehorchen! Das
möchte ich einmal erleben! Du hast nicht genug Mut, deine Knie vor dem
Schlottern zu bewahren, wenn ich dich anpfeife! Ich weiß genau, was du in
diesem Fall tun wirst. Du wirst damit prahlen, wozu du gute Lust hättest, den
Liebhaber mit gebrochenem Herzen spielen, um das Mitgefühl jener zu erregen,
die dir glauben, du wirst bei deiner Mutter über meine Tyrannei winseln und
als Ausrede für dein Hasenherz behaupten, du hättest Angst gehabt, wenn du
meinem Zügel nicht folgst, würde ich meine Rache an deinen Brüdern kühlen! Was
du aber nicht sagen wirst, ist, daß du dich vor meinen Sporen fürchtest! Das
aber ist die Wahrheit!»
Er hielt inne und schaute sein
Mündel prüfend an. Gerard war weiß wie seine lächerlich absurden Kragenspitzen,
er zitterte etwas und atmete nur mit Mühe, aber seine brennenden Augen waren
auf Rotherham gerichtet, ohne der durchdringenden Herausforderung jener verächtlichen
grauen Augen auszuweichen. Er hatte die Hände geballt und flüsterte: «Ich
möchte dich umbringen!»
«Das bezweifle ich nicht. Du möchtest
mich vielleicht auch schlagen, aber das wirst du nicht tun. Du wirst mir auch
keine deiner heroischen Ausbrüche mehr vorsetzen. Du kannst heute nacht
hierbleiben, aber morgen wirst du dorthin zurückkehren, von wo du gekommen
bist.»
«Ich bleibe keinen Augenblick länger
unter deinem Dach, was immer du mir dafür bieten würdest!» keuchte Gerard.
«Gerard, ich habe gesagt, ich will
keine heroischen Ausbrüche mehr!»
«Ich verlasse Claycross – und zwar sofort!»
warf ihm Gerard ins Gesicht und stürzte zur Tür.
«Nicht so schnell! Du vergißt etwas!»
Gerard blieb stehen und schaute über die Schulter zurück. «Du hast mir gesagt,
daß deine Taschen leer sind, was mich nicht überrascht, nach all dieser
Herumkutschiererei. Wieviel brauchst du?»
Gerard stand unentschlossen da. Es
wäre eine großartige Geste gewesen, dieses Angebot abzulehnen, und er sehnte
sich danach, sie zu machen; andererseits aber mußten die Postgebühren bezahlt
werden, und er mußte noch mehr als einen Monat durchkommen, bevor er die
Apanage für das nächste Vierteljahr erhielt. Sein Sinn für das Dramatische war
schwer verletzt durch einen Abgang, der, wie ihm bewußt war, besonders
ärgerlich wirkte, und so sagte er in einem Ton, der alles eher als dankbar
klang: «Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mir fünfzig Pfund leihen wolltest,
Vetter!»
«Oh, wärst du, ja? Und was wird man
von mir als Vorschuß mitten im nächsten Viertel erwarten?»
«Sei versichert, daß ich dich nicht
um einen Penny Vorschuß bitten werde», sagte Gerard großartig.
«Das würdest du auch gar nicht
wagen, wie?» sagte Rotherham, öffnete einen Hallenschrank am anderen Ende des
Zimmers und nahm eine Kassette heraus. «Du würdest
dich an deine Mutter wenden. Nun, da es scheint, daß es ausschließlich meine
Schuld ist, daß du in einer Flaute bist, kannst du fünfzig
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