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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena und das Ungeheuer
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neigte er zu der Überzeugung, daß ihn Menschen, die ihn
in Wirklichkeit nicht einmal beachteten, unfreundlich beurteilten. Die Angst
vor einem Ereignis war für ihn viel schlimmer als das Ereignis selbst, trat es
einmal ein; und es machte ihn krank, wenn er grob angefahren wurde. Der
Wunsch, ernst genommen zu werden, paarte sich unglücklicherweise mit einem
Mangel an Selbstvertrauen, das er unter einem prahlerischen Auftreten zu
verbergen trachtete – nichts aber hätte ihm die Verachtung seines Vormundes
sicherer eintragen können. Man hätte sich kein ungleicheres Paar vorstellen
können; und wenn Gerard der letzte war, der Rotherham gefallen konnte, so gab
es andererseits wohl kaum einen schlechteren Vormund als Rotherham für einen
Jungen, der nur aus Schüchternheit und Ehrsucht zusammengesetzt war. Als
Gerard noch viel jünger und ängstlich darum bemüht war, auf einen ihm fast
fremden Menschen, der sein Vormund war, Eindruck zu machen, und zugleich voll
Angst steckte, daß ihn dieser verachten könnte, empfing er einen einzigen
Blick aus diesen harten, hellen Augen – und verging fast. Der Blick war weder
böse noch verächtlich, er war fast gleichgültig; aber er brachte Gerard völlig
aus der Fassung. Er hatte das Gefühl, daß er ihn durchbohrte und alles sah, was
er zu verbergen wünschte; und der Junge hatte sich von jener ersten, katastrophalen
Begegnung nie mehr erholen können. Wenn Rotherham ihm gegenüber gleichgültig
war, fühlte er sich nicht wohl; und wenn er später erlebte, daß Rotherham böse
war, überfiel ihn Entsetzen. Das Abrupte an Rotherhams Wesen, das diesem
angeboren war, faßte Gerard irrtümlich als Zeichen der Abneigung auf; aus jedem
kurz angebundenen Befehl las er eine Drohung; und wenn er gescholten wurde, war
er überzeugt, daß die kurze, aber vernichtende Predigt nur das Vorspiel zu
einer gräßlichen Vergeltungsmaßnahme war. Die Tatsache, daß die einzige
Strafe, die er einmal wirklich erhielt, weder gräßlich noch sogar besonders
streng ausfiel, konnte ihn unerklärlicherweise nicht beruhigen. Er hielt es
für ein Wunder, daß er so leicht davongekommen war, und war jedesmal, wenn er
Rotherham böse gemacht hatte, überzeugt, daß er nur um Haaresbreite Prügeln
entronnen war.
    Ob Rotherham mit seinen Nerven aus
Stahl, seiner unerschöpflichen Kraft und seiner Ungeduld Schwächen gegenüber je
viel Zuneigung für einen so zarten und nervösen Jungen wie Gerard überhaupt
aufbringen konnte, war zweifelhaft; aber er wäre ihm gegenüber nicht so
intolerant gewesen, hätte Gerard nicht die unglückselige Neigung gehabt, sich
aufzuspielen. Zu Beginn seiner Vormundschaft hatte Rotherham ihn häufig auf
den einen oder anderen Landsitz eingeladen, weil er, so lästig ihm auch ein
Schuljunge fallen mochte, das Gefühl hatte, es sei natürlich seine Pflicht,
sich für ihn zu interessieren, ihn einen Tag lang auf die Jagd mitzunehmen,
ihm beizubringen, wie man mit einem Gewehr umgeht oder eine Angelschnur
auswirft und wie man eine gerade Linke anbringt. Aber er erkannte sehr bald,
daß Gerard weit davon entfernt war, dankbar zu sein, und diese Wohltaten nur
als bittere Prüfungen des Schicksals ertrug. Das alles hätte Rotherham gerade
nur die Lust zu solchen Experimenten vergehen lassen, und nicht mehr. Aber
einmal hörte er mit an, wie Gerard nach einem unrühmlichen Tag im Sattel, an
dem es ihm gelungen war, selbst die leichtesten Hürden zu vermeiden, einem
Diener gegenüber mit «richtiggehenden Hochzäunen» prahlte, die er genommen
hätte. Rotherham, dem persönlich weder an der Bewunderung noch an dem Tadel
auch nur irgendeines Menschen lag und der Scharlatane verachtete, war heftig
empört und betrachtete von nun an sein Mündel nicht mit bloßer
Gleichgültigkeit, sondern mit Verachtung. Selbst Gerards Fügsamkeit reizte
ihn. Er zog den robusteren Charles vor, der sich durch seinen Unfug mit
Vorliebe in alle möglichen gefährlichen Situationen brachte und Schaden
stiftete; das veranlaßte zwar Rotherham zu erklären, er wolle den jungen Hund
nie wieder bei sich zu Besuch haben. Aber kaum war Charles dem zerstörerischen
Stadium eines jungen Hundes entwachsen, beabsichtigte Rotherham durchaus, ihm
alle Türen zu öffnen und ihn in die Hand zu nehmen. Charles machte ihn zwar
ärgerlich, reizte ihn aber nie zu Verachtung. Kaum war er eben schwer gestraft
worden, weil er etwa dem Butler eine Falle gestellt hatte mit dem Erfolg, daß
es einen Haufen Porzellanscherben

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