Georgette Heyer
sein Gesicht in den Händen.
Rotherhams Brauen zogen sich
zusammen. Er starrte Gerard einen Augenblick lang an, stand dann auf und ging
durch das Zimmer zu einem Abstelltisch mit einigen
Krügen und Gläsern. Er goß zwei Gläser voll, kehrte mit ihnen zurück, stellte
eines auf seinen Schreibtisch. Er legte Gerard die Hand auf die Schulter und
drückte sie nicht unfreundlich. «Jetzt aber genug! Komm jetzt! Ich habe dir
gesagt, daß ich ein Übermaß an Empfindsamkeit nicht mag! Nein, ich hänsle dich
nicht – ich sehe, daß die Dinge ernster stehen, als ich angenommen hatte. Da,
ein Glas Wein! Trink, und dann sag mir ohne allen Unsinn, was ich denn
eigentlich angestellt habe, das dich so sehr aufregt!»
Die Worte waren kaum mitfühlend,
aber die Stimme, obwohl nicht gefühlvoll, klang nicht länger spöttisch. Gerard
sagte verquollen: «Ich mag nicht! Ich ...»
«Tu, wie ich dich geheißen habe!»
Die Stimme war wieder schärfer
geworden. Gerard zuckte leicht zusammen und gehorchte ihr unwillkürlich. Er
nahm das Glas in seine zitternde Hand und schluckte etwas von seinem Inhalt.
Rotherham zog sich wieder in seinen Stuhl hinter dem großen Schreibtisch zurück
und nahm sein eigenes Glas auf. «Nun, in so wenig Worten wie möglich: Worum
handelt sich's?»
«Du weißt, worum es sich handelt»,
sagte Gerard bitter. «Du hast deinen Rang – und deinen Reichtum – benützt, um
mir das einzige Mädchen zu stehlen, das ich je lieben werde!» Er wurde gewahr,
daß ihn Rotherham plötzlich intensiv anstarrte, und fügte hinzu: «Miss Laleham!»
«Du guter Gott!»
Der Ausruf war völlig verblüfft,
aber Gerard sagte: «Du wußtest sehr gut – du mußt es gewußt haben! –, daß ich –
daß sie ...»
«Ohne Zweifel müßte ich es gewußt
haben – hätte ich nur halb soviel Interesse an deinen Angelegenheiten, wie du
es mir zuschreibst! Aber wie die Dinge liegen, wußte ich es nicht.» Er hielt
inne, schlürfte seinen Wein, schaute Gerard über den Rand des Glases an, die
Brauen wieder zusammengezogen, die Augen zusammengekniffen, sehr hart, sehr
hell. «Es hätte zwar keinen Unterschied gemacht, außer dem einen, daß ich dich
von dem Ereignis unterrichtet hätte. Es tut mir leid, wenn dir die Neuigkeit
einen Schlag versetzt hat, aber in deinem Alter wirst du dich schnell von ihm
erholen.»
Diese Rede, außerdem so kalt
vorgetragen, war für einen jungen Herrn, der am Schmerz seiner ersten Liebe
litt, alles eher als beruhigend. Es war offenkundig, daß Rotherham seine
Leidenschaft für sehr unwichtig hielt; und seine Bemerkung, daß sie bald
vergessen sein würde, ließ Gerards Brust vor Empörung schwellen, statt ihn zu
trösten.
«Das also ist alles, was du dazu zu
sagen hast! Ich hätte es mir ja denken können! Mich davon erholen!»
«Jawohl, erholen», sagte Rotherham.
Seine Lippen verzogen sich. «Ich wäre von diesem tragischen Getue mehr
beeindruckt gewesen, wenn du nicht so lang dazu gebraucht hättest, dich dazu zu
entschließen, mir eine rührende Szene vorzuspielen! Ich weiß nicht, wie viele
Wochen es her sind, seit die Verlobung bekanntgegeben wurde, aber ...»
«Ich kam nach Gloucestershire
sofort, nachdem ich es erfahren habe!» sagte Gerard und erhob sich halb von
seinem Stuhl. «Ich habe die Ankündigung nie gesehen! Wenn ich in Cambridge bin,
sehe ich oft tagelang keine Zeitung! Niemand hat mir etwas davon gesagt, erst
unlängst, als mich Mrs. Maldon fragte – ausgerechnet mich! –, ob ich die
zukünftige Lady Rotherham kenne! Ich war erstaunt, wie anzunehmen ist, als ich
erfuhr, daß du verlobt bist, aber das war nichts im Vergleich zu dem – zu dem
Entsetzen und der Bestürzung, die mich sprachlos machten, als mir der Name Em –
Miss Lalehams bekannt wurde!»
«Ich wünschte von Herzen, daß du
immer noch an Entsetzen und Bestürzung littest, wenn das die Wirkung ist, die
solche Gefühle auf dich haben!» unterbrach ihn Rotherham. «Zum Teufel mit
deinen Perioden! Wenn du weniger schauspielern würdest, könnte ich dir mehr
glauben! Als ob ...» Er zuckte die Achsel. «Du bist Anfang Juni heruntergekommen,
jetzt ist es August, deine Mutter ist von meiner Verlobung sehr gut
unterrichtet, und du behauptest, du hättest erst vor einigen Tagen davon
gehört? Du trägst zu dick auf, Gerard! Wahr ist vielmehr, daß du dich in diese
wunderschöne Wut hineingeredet hast – und dich in die Brust wirfst, um dich
interessant zu machen.»
Gerard war aufgesprungen, und seine
Wangen flammten.
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