Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena und das Ungeheuer
Vom Netzwerk:
gab, konnte man voraussehen, daß er kaum eine
halbe Stunde später in das Zimmer stürzen und in schuldbewußtem Ton verkünden
würde, er fürchte, er habe einen der Pfauen mit seinem Pfeil getötet. Er fand
nichts Entmutigendes in dem Blick, der seinen älteren Bruder von Kopf bis Fuß
erzittern ließ; und wenn ihm gräßliche Strafen angedroht wurden, grinste er. Er
steckte zum Verzweifeln voll Unfug, war zum Verrücktwerden dickköpfig und
gänzlich abgeneigt, Verbote zu beachten; und da gerade diese Merkmale seinen
Vormund unfehlbar in Wut versetzten, konnten weder Gerard noch Mrs. Monksleigh
verstehen, wieso sich Charles vor Rotherham überhaupt nicht fürchtete, oder
warum Rotherham, wie böse auch immer er sein mochte, Charles nie mit jenen
schneidenden Bemerkungen bedachte, unter denen sich Gerard krümmte.
    «Vetter Rotherham mag Leute, die
sich ihm stellen», sagte Charles. «Er ist ein prima Bursche!»
    Aber heute, dachte Gerard bitter,
hatte Rotherham keinerlei Anzeichen gezeigt, daß ihm tapfere Haltung Eindruck
machte; Gerard war nicht imstande, die Kluft zu erkennen, die zwischen seiner
ausgeklügelten und einstudierten trotzigen Pose und dem angeborenen Kampfgeist seines derben Bruders
lag. Er hatte Rotherham so verärgert und damit zu derart schneidenden Worten
gereizt, daß er einige düstere Minuten lang in einen Aufruhr entsetzter Wut
geriet, die ihn seine Pose vergessen ließ, so daß er Rotherham ungeschminkt
seine Verachtung entgegenschleuderte, ohne im geringsten Eindruck auf ihn
machen zu wollen. Er war einfach bös und hatte Angst und war zutiefst entsetzt
gewesen; und das blieb er noch ziemlich lange. Aber als die Entfernung zwischen
ihm und Claycross größer wurde, erholte er sich allmählich; zwar erschauerte er
bei der Erkenntnis, daß er soeben Rotherhams Verbot glatt zuwiderhandelte, und
fragte sich, was wohl daraus entstehen würde. Aber langsam begann er zu
glauben, daß er sich bei der katastrophalen Unterredung sehr gut aus der Affäre
gezogen hätte. Von der Überlegung, was er Rotherham alles für Antworten hätte
geben können, bis zu der Einbildung, daß er sie wirklich gegeben hatte, war nur
ein kleiner Schritt. Und als er Bath erreicht hatte, war er fast wieder in
seiner alten Eitelkeit befangen und sehr geneigt, sich einzubilden, daß er
Rotherham eine Lehre erteilt hatte.
    Da ihm nichts unangenehmer gewesen
wäre, als Rotherham um noch mehr Geld angehen zu müssen, wählte er
vorsichtigerweise eine bescheidene Herberge in dem weniger mondänen Teil der
Stadt und quartierte sich dort mit der festen Absicht ein, Emilys
Aufenthaltsort gleich am nächsten Morgen aufzuspüren. Aber er traf sie erst
zwei Tage später, als sie mit ihrer Großmutter die Trinkhalle betrat und er
sich ihr endlich nähern konnte. Die Aufgabe, das Haus einer Dame zu finden,
deren Namen er nicht wußte, hatte sich als unerwartet schwierig herausgestellt.
    Emily war sehr überrascht, als sie
ihn erblickte, und begrüßte ihn aufrichtig entzückt. Er war ein hübscher Junge
mit angenehmen Manieren und so elegant, daß seine Gesellschaft nur zu ihrer
eigenen Wichtigkeit beitragen konnte. Seine Leidenschaft für sie wurde überdies
mit größter Haltung ausgedrückt und nahm die Form ergebener Huldigung an, die
durchaus beruhigend war. Als sie das erste Mal nach London kam, war er in
seinen Aufmerksamkeiten sehr ausdauernd gewesen, und sie hatte mit ihm ihren
ersten Flirt genossen. Wenn sie sich der Schwüre, die sie mit ihm getauscht
hatte, überhaupt entsann, so nahm sie an – eine Denkernatur war sie nun
freilich nicht –, daß er sie nicht ernster gemeint hatte als sie selbst. Sie
erinnerte sich, daß sie so ziemlich eine Woche lang niedergeschlagen war, als
Mama ihm verboten hatte, sie wieder zu besuchen, aber Mama hatte ihr
versichert, daß sie sich von ihrer Enttäuschung bald erholen würde, was auch
tatsächlich der Fall gewesen war. In dem Schwarm der mondänen jungen Leute,
mit denen sie schnell bekannt wurde, war Gerard weitestgehend vergessen
worden.
    Aber sie konnte ihn sehr gut leiden,
freute sich, ihn wiederzusehen, und stellte ihn sofort Mrs. Floore vor.
    Mrs. Floore war ein Schlag für ihn;
obwohl er oft gehört hatte, wie seine Mama Lady Laleham «eine gewöhnliche
Person» nannte, hatte er das wenig beachtet, weil er diese Zensurnote schon
häufig gehört hatte und sie im allgemeinen nur bedeutete, daß Mrs. Monksleigh
wieder einmal mit irgendeiner Dame gestritten hatte und sie dann

Weitere Kostenlose Bücher