Georgette Heyer
Léonie.
«Aber,
Kind! Erinnere dich, deine Zunge im Zaum zu halten! Laß mich heute abend ja
keine Ausdrücke wie 'Zerplatzen' oder 'Schweinekerl' hören, wenn du mich lieb
hast.»
«Nein,
Madame, ich will mir's merken. Und 'Hosen' gibt's auch keine!»
«Gewiß
nicht!» kicherte Fanny und segelte ins Treppenhaus hinaus. Vor der ersten Stufe
hielt sie inne und trat zur Seite. «Geh vor mir hinab, Kind. Langsam, langsam!
O Gott, du wirst heute Herzen knicken, ich sehe es voraus!» Aber diese letzten
Worte sprach sie zu sich.
Léonie
schritt gesetzt die breite Treppe hinab, die heute festlich von Bündeln
schlanker, hoher Kerzen in den Mauernischen erleuchtet war. Drunten in der
Halle warteten die Herren, um den Kamin gruppiert; Seine Gnaden, auf dessen
purpurnem Satinrock Orden blitzten; Lord Rupert in blaßblauem, reich bordiertem
Anzug und elegant geblümter Weste; Marling war flohfarben und Davenant
kastanienbraun gekleidet. Léonie blieb mitten auf der Treppe stehen und
entfaltete ihren Fächer.
«Seht mich
doch an!» rief sie vorwurfsvoll.
Beim Klang
ihrer Stimme wandten sie rasch die Köpfe und erblickten, zu beiden Seiten von
Kerzenlicht umflossen, ihre zierliche Gestalt, von den Löckchen am Scheitel bis
hinab zu den juwelenbesetzten Absätzen der Schuhe in Weiß gehüllt: ein weißes,
tief ausgeschnittenes Brokatkleid, weißer Spitzenunterrock, weiße Rosen an der
Brust und in der Hand. Nur
ihre Augen waren leuchtend dunkelblau, ihre geöffneten Lippen kirschrot und die
Wangen leicht rosig.
«Eine
Schönheit!» schnappte Rupert nach Luft. «Bei Gott, du bist eine Schönheit!»
Seine
Gnaden trat an den Fuß der Treppe und streckte die Hände «Komm, ma belle!»
Sie lief
ihm entgegen. Er beugte sich tief über ihre Hand, worauf sie errötete und einen
kleinen Knicks machte.
«Ich sehe
nett aus, Monseigneur, finden Sie nicht auch? Lady Fanny habe ich all das zu
danken, und sehen Sie doch, Monseigneur, sie schenkte mir diese Nadel, und
Rupert gab mir die Blu-, nein, den Fächer. M. Davenant war's, der mir die
Blumen gab, und M. Marling diesen hübschen Ring!» Sie tänzelte zu den Herren
hinüber, die sie sprachlos anstarrten. «Ich danke Ihnen allen vielmals!
Rupert, du bist heute abend direkt großartig! Ich hab dich noch nie so – so
ordentlich gesehen und tont à fait beau!»
Lady Fanny
kam die Treppe herab.
«Nun,
Justin? War ich erfolgreich?»
«Meine
Liebe, du hast dich selbst übertroffen.» Sein Blick glitt über sie. «Auch deine
eigene Toilette läßt nichts zu wünschen übrig.»
«Oh!» Sie zuckte die Achseln.
«Heute abend bin ich bedeutungslos.»
«Du bist trés grande dame, meine
Liebe», sagte er.
«Das
vielleicht», nickte sie. «Es lag in meiner Absicht.»
Rupert hob
sein Lorgnon.
«Du siehst
stets wundervoll aus, Fan, laß dir das gesagt sein.»
Die
Lakaien, die sich im geräumigen Entree verteilt hatten, nahmen plötzlich
Haltung an.
«Oh,
bereits die ersten Gäste?» rief Milady. «Komm, Kind!» Sie führte sie in den
großen Ballsaal, der die Längsseite des Hauses einnahm. Léonie blickte prüfend
um sich.
«Voyons, das gefällt mir!»
sagte sie und schritt zu einem der großen Blumenkörbe, um die zarten Blüten zu
betrachten. «Wir sind alle großartig, und das Haus ist großartig, Monseigneur,
Rupert sieht blendend aus, finden Sie nicht?»
Avon faßte
seinen schlanken und flotten jüngeren Bruder ins Auge. «Blendend nennst du
das?» näselte er.
«Hol dich
der Teufel, Justin!» zischte Milord.
Ein Lakai
stand auf der breiten Schwelle und rief die Namen aus. Rupert verflüchtigte
sich, und Lady Fanny trat vor.
Eine Stunde
später hatte Léonie den Eindruck, daß das ganze Haus von festlich gekleideten
Damen und Herren wimmle. An die hundertmal hatte sie geknickst; noch immer
klang ihr Miladys Stimme im Ohr: «Ich habe die Ehre, Madame, Ihnen Mademoiselle
de Bonnard, das Mündel meines Bruders, vorzustellen.»
Schon zu
Beginn des Balls war Avon mit einem jungen Mann auf sie zugetreten,
einem Kavalier, der nach dem letzten Modeschrei gekleidet war und eine Reihe
Orden auf der Brust sowie eine prächtige Perücke auf seinem Haupt trug. Avon
hatte gesagt: «Mein
Mündel, Prinz. Léonie, Monsieur le Prince de Condé wünscht dir vorgestellt zu
werden.»
Sie versank
in einem sehr tiefen Knicks; Condé beugte sich über ihre Hand.
«Mademoiselle
ist ja ravissante!» murmelte er.
Léonie
tauchte aus ihrem Knicks auf und lächelte ihn scheu an. M. le Prince legte
Weitere Kostenlose Bücher