Georgette Heyer
Paris?»
«Paris», entgegnete
Seine Gnaden, «spricht im Flüsterton. Und so lebt mein teurer Freund Saint-Vire
ständig in der Angst vor einer Entdeckung.»
«Wann
beabsichtigen Sie zuzuschlagen?»
Avon
kreuzte die Beine und versenkte sich nachdenklich in den Anblick
seiner Schuhschnalle.
«Das, mein
lieber Merivale, liegt noch im Schoße der Götter. Saint-Vire muß selbst den
Beweis für die Richtigkeit meiner Geschichte liefern.»
«Widerwärtig,
verdammt widerwärtig!» kommentierte Merivale.
«Sie haben
keinerlei Beweis?»
«Keinen
einzigen.»
Merivale
lachte.
«Dies
scheint Sie nicht sehr zu bekümmern!»
«Nein»,
seufzte Seine Gnaden, «nein. Ich glaube, ich kann den Grafen durch seine
charmante Gattin fangen. Ich spiele ein Geduldspiel, sehen Sie.»
«Ich bin
froh, daß ich nicht Saint-Vire bin. Ihr Spiel muß ihm eine Tortur
sein.»
«Das meine
ich auch», bestätigte Avon freundlich. «Ich bin gar nicht darauf erpicht, seine
Martern zu beenden.»
«Sie sind
recht rachsüchtig.»
Einen
Augenblick lang herrschte Schweigen; dann sprach Avon: «Ich frage
mich, ob Sie wohl die Niedertracht meines Freundes voll und ganz erfaßt haben.
Denken Sie einen Moment nach, bitte. Würden Sie mit einem Mann Nachsicht üben,
der seine eigene Tochter zu einem derartigen Leben zu verbannen vermochte, wie
es mein Kind geführt hat?»
Merivale
richtete sich in seinem Sessel auf.
«Ich weiß
nichts von ihrem Leben. War es so schlimm?»
«Ja, mein
Lieber, es war wahrhaft schlimm. Bis zu ihrem zwölften Lebensjahr wurde sie,
eine Saint-Vire, als Bäuerin aufgezogen. Danach lebte sie unter der canaille von Paris. Stellen Sie sich eine Kneipe in einer verrufenen Gasse vor,
einen tyrannischen Meister, eine Hexe als Meisterin, und das Laster in seinen
gemeinsten Formen ständig vor den Augen des
Kindes.»
«Es muß die
Hölle gewesen sein», sagte Merivale.
«Stimmt»,
nickte Seine Gnaden. «Es war die schlimmste Art Hölle, die ich kenne.»
«Es ist ein Wunder, daß sie sie unversehrt durchschritten hat.» Die
haselnußbraunen Augen hoben sich.
«Nicht ganz
unversehrt, mein lieber Anthony. Diese Jahre haben ihr Mal hinterlassen.»
«Das war
wohl unausbleiblich. Doch ich muß gestehen: ich habe das Mal nicht bemerkt.»
«Sicher
nicht. Sie sehen nur ihre Schalkhaftigkeit und ihren furchtlosen Geist.»
«Und Sie?»
Merivale faßte ihn neugierig ins Auge.
«Oh, ich
sehe tiefer, mein Lieber! Allerdings habe ich auch einige Erfahrung mit dem
weiblichen Geschlecht, wie Sie wissen.»
«Und – was
sehen Sie?»
«Eine
gewisse Zynik, aus dem Leben geboren, das sie führte; einen Anflug
absonderlicher Weisheit; Nachdenklichkeit hinter Heiterkeit; bisweilen Furcht;
und fast ständig die Erinnerung an eine Einsamkeit, die der Seele Wunden
schlägt.»
Merivale
blickte auf seine Schnupftabakdose hinab, deren Ornamente er mit einem Finger
nachzuziehen begann.
«Ich
finde», sagte er dann langsam, «daß Sie Fortschritte gemacht haben, Alastair.»
Seine
Gnaden erhob sich.
«Mein Charakter
ist offenbar geläutert worden», sagte er.
«In Léonies
Augen können Sie nichts Böses tun.»
«Nein, ist
das nicht amüsant?» Avon lächelte, doch in seinem Lächeln lag eine Bitterkeit,
die Merivale nicht verborgen blieb.
Dann
kehrten sie in den Ballsaal zurück, wo sie von Lady Fanny erfuhren, daß Léonie
vor einiger Zeit an Ruperts Arm verschwunden und seither nicht mehr gesehen
worden war.
Sie hatte
tatsächlich mit Rupert einen kleinen Salon aufgesucht, wo er sie mit
Erfrischungen versorgte. Dann war eine gewisse Madame de Verchoureux auf sie
zugetreten, eine hübsche, aber bösartige Person, die zur Zeit, da Léonie
auftauchte, Avons intime Freundin gewesen war. Sie blickte Léonie mit
haßerfüllten Augen an und verhielt kurze Zeit bei ihrem Sofa.
Rupert sprang
auf die Füße und verbeugte sich. Madame knickste. «Ist dies – Mademoiselle de
Bonnard?» fragte sie.
«Ja,
Madame.» Léonie erhob sich und knickste ebenfalls. «Ich bin schrecklich dumm,
aber im Augenblick will mir Madames Name nicht einfallen.»
Rupert zog
sich, in der Vermutung, die Dame sei eine von Fannys Freundinnen, in den
Ballsaal zurück; Léonie, allein zurückgeblieben, blickte Avons verlassene
Mätresse an.
«Meine
Glückwünsche, Mademoiselle», sagte die Dame sarkastisch. «Sie sind, scheint's,
mehr vom Glück begünstigt, als ich es gewesen bin.»
«Madame?»
Léonies Augen waren glanzlos geworden. «Darf ich die Ehre haben,
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