Georgette Heyer
dort.
«Merci,
Monseigneur. Bonne nuit!» sagte
sie heiser. Dann erhob sie sich und lief die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf.
Dort
erwartete sie, glühend vor Erregung, ihre Jungfer. Léonie schloß behutsam die
Tür, wirbelte an dem Mädchen vorbei, warf sich auf das Bett und weinte, als
müßte ihr das Herz zerbrechen. Die Jungfer beugte sich, ihr sanft Trost
zusprechend, über sie.
«Oh,
Mademoiselle, warum wollen Sie weglaufen? Müssen wir wirclich heute nacht
fort?»
Drunten
schloß sich das große Tor; Léonie schlug die Hände vor die Augen.
«Er ist
gegangen, gegangen! Ach, Monseigneur, Monseigneur!» Von haltlosem Schluchzen
geschüttelt, lag sie da, doch plötzlich stand sie, ruhig und entschlossen, auf
und wandte sich ihrem Mädchen zu. «Die Reisekutsche, Marie?»
«Ja,
Mademoiselle, ich habe heute morgen eine gemietet, sie wird uns in einer Stunde
an der Straßenecke erwarten. Aber sie hat fast sechshundert Francs gekostet,
Mademoiselle, und dem Kutscher war es gar nicht recht, so spät aufzubrechen.
Wir werden heute nacht nicht weiter als bis Chartres gelangen, sagt er.»
«Das macht
nichts. Ich besitze genug Geld, um alles zu zahlen. Nun bringe mir Papier und
Tinte. Willst du wirklich – willst du wirklich mit mir kommen?»
«Aber
gewiß, Mademoiselle!» bekräftigte das Mädchen. «Der Herr Herzog würde mir schön
zürnen, wenn ich Sie allein gehen ließe.» Léonie blickte sie kummervoll an.
«Ich sage
dir, wir werden ihn nimmermehr wiedersehen.»
Marie
schüttelte zweifelnd den Kopf, entgegnete jedoch nur, daß sie fest entschlossen
sei, Mademoiselle zu begleiten. Dann holte sie Tinte und Papier, und Léonie
setzte sich nieder, um ihre Abschiedsbriefe zu schreiben.
Als Lady
Fanny zurückkehrte, lugte sie in Léonies Zimmer, um zu sehen, ob sie schliefe.
Sie hielt die Kerze hoch, damit deren Schein auf das Bett fiele, und sah, daß
es leer war. Etwas Weißes lag auf der Überdecke; sie schoß darauf zu, und ihre
zitternde Hand brachte zwei versiegelte Schreiben ans Kerzenlicht. Das eine war
an sie gerichtet, das andere an Avon.
Lady Fanny
schwanden plötzlich die Kräfte; sie ließ sich in einen Lehnstuhl fallen und
starrte wie blind auf die gefalteten Papiere. Dann stellte sie den
Kerzenleuchter auf den Tisch und riß den Brief auf, der an sie gerichtet war.
Er lautete: Liebste
Madame, ich
schreibe diese Zeilen, um Ihnen Lebewohl zu sagen und Ihnen für die Güte, die
Sie mir erwiesen haben, zu danken. Ich habe Monseigneur mitgeteilt, warum ich
fort muß. Sie waren so lieb und gut zu mir, und ich liebe Sie, und ich bin
wirklich und wahrhaftig traurig, daß ich Ihnen nur schreiben kann. Ich werde
Sie nie vergessen.
Léonie Lady Fanny
sprang aus dem Sessel.
«Du lieber
Gott!» rief sie. «Léonie! Justin! Rupert! Oh, ist denn niemand hier? Himmel,
was soll ich tun?» Sie lief die Treppe hinab, und als sie einen Lakaien an der
Eingangstür stehen sah, eilte sie auf ihn zu. «Wo ist Mademoiselle? Wann ging
sie fort? Antworte mir, Tölpel!»
«Madame?
Mademoiselle ist zu Bett gegangen.»
«Narr!
Dummkopf! Wo ist ihre Jungfer?»
«Nun,
Madame, die ist knapp vor sechs ausgegangen, mit – Rachel, glaube ich.»
«Rachel
befindet sich in meinem Zimmer!» fuhr ihn Ihre Gnaden an. «O Gott, was soll ich
nur tun? Ist Seine Gnaden schon zurückgekehrt?»
«Nein, Madame, noch nicht.»
«Schicken
Sie ihn zu mir in die Bibliothek, sobald er das Haus betritt!» befahl Lady
Fanny und begab sich selbst dorthin, um Léonies Schreiben nochmals zu lesen.
Zwanzig
Minuten später trat Seine Gnaden ein.
«Fanny? Was
soll das?»
«O Justin,
Justin!» sagte sie aufschluchzend. «Warum haben wir sie alleingelassen! Sie ist
fort! Fort, sage ich dir!»
Seine
Gnaden trat näher.
«Léonie?»
fragte er scharf.
«Wer
sonst?» fragte Milady zurück. «Das arme, arme Kind! Sie hat dies hier für mich
zurückgelassen, und das dort für dich. Nimm!»
Seine
Gnaden erbrach das Siegel und glättete das dünne Blatt. Lady Fanny beobachtete
ihn während des Lesens und sah, wie sich seine Lippen aufeinanderpreßten.
«Nun?»
fragte sie. «Was schreibt sie dir? Sag mir's, um Himmels willen!»
Der Herzog
reichte ihr den Brief; er schritt zum Kamin und starrte ins Feuer, während sie
las: Monseigneur, ich bin
Ihnen davongelaufen, weil ich entdeckt habe, daß ich nicht das bin, wofür Sie
mich halten. Ich habe Sie belogen, als ich sagte, neulich am Abend habe Madame
de Verchoureux nicht mit mir gesprochen. Sie
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