Georgette Heyer
gelassen. «Aber ich kann
mein Kind nicht in seiner Obhut lassen. Soviel
väterliches Gefühl wirst du mir wohl zubilligen. Gib dich in meine Hände, und
Avon hat nichts von mir zu fürchten. Ich wünsche nur, dich in Sicherheit zu
sehen. Es braucht kein Skandal aufzukommen, wenn du aus der
Gesellschaft verschwindest; wenn du jedoch unter Avons Dach bleibst, ist der
Skandal unausbleiblich. Und da ich sicher darin verwickelt werde, ziehe ich es
vor, dem Geschrei zuvorzukommen.»
«Und wenn
ich gehe, werden Sie nichts sagen?»
«Nicht ein Wort.
Warum sollte ich auch? Laß mich für dich sorgen. Ich kann ein Heim für dich
finden. Ich will dir Geld senden. Und vielleicht wirst du ...»
«Ich begebe
mich nicht in die Hände eines Schweinekerls», sagte Léonie vernichtend. «Ich
will verschwinden, bien entendu, aber ich will zu jemandem gehen, der
mich liebt, nicht zu Ihnen, der ohne Zweifel ein Bösewicht ist.» Sie schluckte
heftig und ihre Hand umklammerte die Pistole. «Ich gebe Ihnen mein Wort, daß
ich verschwinden werde.»
Er streckte
die Hand aus.
«Armes
Kind, welch trauriger Tag für dich! Ich kann nur das eine sagen, daß es mir
leid tut. Es geschieht zu deinem Besten – du wirst es sehen. Wohin gehst du?»
Sie warf
den Kopf hoch.
«Das sage
ich weder Ihnen noch sonst jemandem», erwiderte sie. «Ich bete nur zum lieben
Gott, daß ich Sie nie mehr wiederzusehen brauche.» Die Worte erstickten ihr in
der Kehle, sie machte eine Gebärde des Abscheus und schritt zur Tür. Dort
angekommen, wandte sie sich um. «Ich vergaß, Sie schwören zu lassen, nichts zu
sagen, was Monseigneur Schaden zufügen könnte. Schwören Sie auf die Bibel!»
«Ich
schwöre es», sagte er. «Aber das braucht es nicht. Sobald du gegangen bist,
habe ich keinen Anlaß mehr, zu sprechen. Ich wünsche keinen Skandal.»
«Bon!» sagte sie. «Ich traue Ihrem Schwur
nicht, doch ich halte Sie für einen großen Feigling, und ein Skandal käme Ihnen
nicht gelegen. Ich hoffe, Sie finden eines Tages Ihre Strafe.» Sie schleuderte
den Türschlüssel auf den Boden und entfernte sich rasch.
Saint-Vire
wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn.
«Mon
Dieu», flüsterte
er. «Sie zeigte mir, wie ich meinen frumpf auszuspielen habe! Nun werden wir
sehen, wer gewinnt, Satanas!»
29
LÉONIE
VERSCHWINDET
Gewaltig gähnend, richtete sich Lord Rupert
in seinem Stuhl auf.
«Was tun wir
heut abend?» fragte er. «Meiner Seel, ich bin noch nie bei so vielen Bällen
gewesen! Kein Wunder, daß ich abgespannt bin.»
«Oh,
liebster Rupert, ich bin halbtot vor Müdigkeit!» rief Fanny. «Wenigstens haben
wir an diesem einen Abend Ruhe! Morgen findet Madame du Deffands Soirée statt.»
Sie nickte Léonie zu. «Du wirst dich dort unterhalten, Liebling, verlaß dich
drauf. Es werden einige Gedichte vorgetragen, dann folgt eine Diskussion
sämtlicher brillanter Pariser Köpfe – oh, bestimmt wird es ein äußerst amüsanter
Abend werden! Niemand wird sich davon fernhalten.»
«Da haben
wir also heute Ruhepause, nicht wahr?» fragte Rupert. «Was soll ich nun
beginnen?»
«Hast du
nicht gesagt, du seist abgespannt?» bemerkte Marling. «Freilich, aber ich kann
doch nicht den ganzen Abend zu Hause sitzen. Was unternimmst du?»
«Hugh und
ich gehen zu de Châtelet, um Merivale einen Besuch abzustatten. Willst du uns
begleiten?»
Rupert
überlegte es sich ein Weilchen.
«Nein, ich
glaube, ich werde diesen neuen Spielsalon aufsuchen, von dem man so viel reden
hört.»
Avon hob
sein Lorgnon.
«Oh? Wie
und wo ist diese Novität?»
«In der Rue
Chambéry. Es sieht danach aus, als würde er Vassaud ausstechen, wenn all das
Gerede der Wahrheit entspricht. Ich bin überrascht, daß du noch nichts von ihm
gehört hast.»
«Ja, ich
habe meine Pflichten schmählich vernachlässigt», sagte Avon. «Ich glaube, ich
werde dich heute abend begleiten, Junge. Paris soll nicht denken, daß ich
nichts davon wußte.»
«Was, Ihr
wollt alle ausgehen?» fragte Fanny. «Und ich hatte meiner lieben Julie
versprochen, mit ihr zu dinieren! Léonie, sie wird sicher erfreut sein, wenn du
mit mir kommst.»
«Oh,
Madame, ich bin so müde!» wandte Léonie ein. «Heute abend möchte ich zeitig zu
Bett gehen.»
Rupert
streckte seine langen Beine aus.
«Endlich
bist auch du müde!» sagte er. «Meiner Treu, ich glaubte schon, du wärest nicht
matt zu kriegen!»
«Mein
Liebes, ich werde der Dienerschaft auftragen, dir das Tablett ins Zimmer zu
bringen», sagte Fanny.
Weitere Kostenlose Bücher