Georgette Heyer
hinüber.
«Weitere
Befehle?» forschte Milord. «Ich sehe, daß Fanny Madame de Saint-Vire in ein
angeregtes Gespräch verwickelt hat.»
Seine
Gnaden bewegte seinen Fächer lässig hin und her.
«Nur noch
einen einzigen Befehl», seufzte er. «Halten Sie unseren lieben Freund von
seiner Gattin fern.» Er schritt weiter, um mit Madame de Vauvallon zu
sprechen, und verlor sich dann in der Menge.
Lady Fanny
komplimentierte Madame de Saint-Vire bezüglich ihres Kleides.
«Diese
Nuance Blau ist direkt hinreißend, finde ich!» sagte sie. «Ich habe die ganze
Stadt vor gar nicht langer Zeit nach genau demselben Taft abgesucht. Sieh
einmal an, da ist schon wieder diese Dame in Flohbraun! Wissen Sie bitte, wer
sie ist?»
«Sie ist,
glaube ich, eine Mademoiselle de Cloué», erwiderte Madame. Der Vicomte de Valmé
tauchte auf. «Henri, hast du deinen Vater gesehen?»
«Ja,
Madame, er ist mit de Châtelet und noch jemandem dort drüben.» Er verbeugte
sich vor Fanny. «Es ist Milor' Merivale, glaube ich. Madame, darf ich Ihnen ein
Glas Ratafia holen?»
«Nein,
danke», sagte Milady. «Madame, mein Gatte!»
Madame
reichte Marling die Hand. Madame du Deffand trat hinzu.
«Wo ist
denn Ihr Bruder, Lady Fanny? Ich habe ihn gebeten, uns mit einem seiner
amüsanten Gedichte zu unterhalten, und er sagt, er habe eine andere Art der
Unterhaltung für uns bereit!» Nach Avon Ausschau haltend, rauschte sie davon.
«Avon soll
uns Verse vorlesen?» fragte jemand in der Nähe. «Er ist stets so witzig!
Erinnern Sie sich an das Gedicht, das er letztes Jahr bei Madame de Marchérands
Rout vorlas?»
Ein Herr
wandte den Kopf.
«Nein,
diesmal kein Gedicht, d'Orlay. Ich hörte d'Aiguillon sagen, daß es eine Art
Geschichte sein soll.»
«Tiens! Was der alles imstande ist!»
Der junge
Chantourelle trat, Mademoiselle de Beaucour am Arm, heran. «Was höre ich da von
Avon? Will er uns ein Märchen erzählen?»
«Vielleicht eine Allegorie», vermutete
d'Anvau. «Obwohl dergleichen derzeit
nicht in Mode ist.»
Madame de
la Roque reichte ihm ihr Weinglas mit der Bitte, es wegzustellen.
«Sonderbar,
uns eine Geschichte zu erzählen», meinte sie. «Wäre es nicht Avon, würde man
weggehen, aber da er sie vorträgt, bleibt man und zerspringt vor Neugier. Da
kommt er schon!»
Seine
Gnaden bewegte sich an der Seite Madame du Deffands durch das Zimmer. Die Gäste
begannen Platz zu nehmen, und jene Herren, die keine Sessel mehr finden
konnten, stellten sich längs der Wand auf oder standen in kleinen Gruppen bei
den Türen. Aus dem Augenwinkel hervor sah Lady Fanny Saint-Vire in einem
kleinen Alkoven beim Fenster sitzen, Merivale hockte neben ihm auf der Kante
eines Tisches. Madame de Saint-Vire machte eine Bewegung, als wollte sie zu
ihm. Lady Fanny ergriff herzlich ihren Arm.
«Meine
Liebe, setzen Sie sich neben mich! Wo sollen wir Platz nehmen?» Avon stand
neben ihr.
«Du suchst
einen Sessel, Fanny? Madame, Ihr ergebenster Diener!» Er hob sein Lorgnon und
winkte einen Lakaien heran. «Zwei Stühle für die Damen.»
«Es ist
nicht nötig», sagte Madame rasch. «Mein Mann wird mir seinen geben ...»
«Ach nein,
Madame, Sie dürfen mich nicht allein lassen!» rief Fanny fröhlich. «Ah, hier
sind schon die Stühle! Möchte wetten, wir haben den besten Platz im ganzen
Zimmer!» Sie drückte Madame auf einen spindelbeinigen Sessel, den der
Lakai gebracht hatte, so daß diese nun neben dem Kamin saß und den ganzen Raum
überblicken, aber auch fast von jedermann gesehen werden konnte. Auf derselben
Seite, aber etwas weiter zurück im Alkoven, saß ihr Gatte, der nur ihr Profil
sehen konnte. Sie wandte sich um, um ihm einen flehenden Blick zuzuwerfen; er
erwiderte ihn mit einem warnenden und preßte die Zähne zusammen. Merivale
lächelte Davenant zu, der gegen den Türrahmen lehnte.
Madame du
Deffand ließ sich an einem kleinen Tisch nieder und lachte Avon freundlich an.
«Nun, mein Freund, lassen Sie uns Ihr Märchen hören! Hoffentlich ist es recht
aufregend?»
«Das,
Madame, zu beurteilen muß ich Ihnen überlassen», erwiderte Avon. Er stellte
sich vor den Kamin, öffnete seine Schnupftabakdose und nahm zierlich eine
Prise. Der Schein des Kaminfeuers und der Kerzen spielte über ihn hin; sein
Gesicht war verschlossen, nur in den seltsamen Augen glomm ein spöttischer
Schimmer auf.
«Irgend
etwas liegt in der Luft, möchte ich schwören!» vertraute d'Anvau seinem
Nachbarn an. «Dieser Ausdruck auf den Zügen unseres Freundes
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