Georgette Heyer
sich der leiseste Schatten eines Skandals an sie
hefte. Und ich soll sie mit Kleidern versehen, und oh, Edward, wird das nicht
unterhaltsam sein? Sie hat rotes Haar und schwarze Augenbrauen, und ich habe
ihr mein Grünseidenes geschenkt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie niederträchtig
entzückend sie darin aussieht, obgleich ihr vielleicht Weiß besser stehen
würde.»
«Zerbrich
dir nicht den Kopf darüber, Fanny. Erzähle weiter.»
«Aber
gewiß. Justin fand sie offenbar in Paris – nur anfangs hielt er sie für einen
Knaben –, und sie wurde von irgendeinem Kneipenwirt mißhandelt. Daher kaufte
Justin sie und machte sie zu seinem Pagen. Und er behauptet, er hat sie gern
und möchte sie zu seinem Mündel machen. Und, oh, Edward, gerade fiel mir ein,
wie wundervoll romantisch es wäre, wenn er sie heiratete! Doch sie ist noch
ein Kind und schrecklich jungenhaft. Stell dir nur vor, sie bestand darauf,
ihre Hose anzubehalten! Jetzt, Edward, sag mir, daß du nett zu ihr sein wirst
und daß ich sie behalten darf! Sag's, Edward, sag's!»
«Du wirst
sie wohl behalten müssen», sagte er widerstrebend. «Ich kann sie nicht
hinauswerfen. Aber das Ganze gefällt mir nicht.»
Fanny
umarmte ihn.
«Das hat
gar nichts zu sagen, Edward. Du wirst dich in sie verlieben, und ich werde
eifersüchtig sein.»
«Das
brauchst du nicht zu befürchten, du kleiner Schelm», sagte er, indem er ihre
Hand drückte.
«Nein. Ich
bin ja so froh! Und nun geh und lege deinen flohfarbenen Rock an. Er ist so
phantastisch elegant, und ich möchte, daß du heute abend sehr gut aussiehst.»
«Speisen
wir denn nicht auswärts?» fragte er. «Ich dachte ...»
«Auswärts
speisen! Du lieber Himmel, Edward, wo wir doch dieses Kind, das gerade erst
angekommen ist, als Gast haben! Nein, so etwas!» Mit diesen Worten rauschte
sie, voll einer neuen Gewichtigkeit, aus dem Zimmer.
Als eine
Stunde später Marling im Wohnzimmer seiner Gattin harrte, flog die Tür auf, und
Fanny segelte herein. Ihr folgte zögernd Léonie. Edward sprang auf die Füße und
starrte sie an.
«Meine
Liebe», sagte Fanny, «das ist mein Mann, Mr. Marling. Edward, Mademoiselle de
Bonnard.»
Marling
verbeugte sich, Léonie ebenfalls, doch mitten in ihrer Verneigung hielt sie
inne.
«Ich muß
einen Knicks machen, nicht wahr? Uff, diese Röcke!» Sie warf Edward einen
scheu-lächelnden Blick zu. «Entschuldigen Sie bitte, M'sieur. Ich habe noch
nicht knicksen gelernt.»
«Gib ihm
die Hand, Kind», befahl Fanny.
Eine
schmale Hand wurde ausgestreckt.
«Warum,
bitte?» fragte Léonie.
Marling
küßte übertrieben förmlich die Fingerspitzen und gab dann Léonies Hand frei.
Ihre Wangen färbten sich hellrot, sie sah zweifelnd zu ihm auf.
«Mais,
M'sieur», begann
sie.
«Mademoiselle?»
Marling lächelte unwillkürlich.
«C'est
peu convenable», erklärte
Léonie.
«Keineswegs»,
sagte Fanny lebhaft. «Kavaliere pflegen Damen die Hand zu küssen. Merke dir
das, meine Liebe. Und nun wird dir mein Gatte den Arm reichen, um dich zu Tisch
zu führen. Lege nur deine Fingerspitzen darauf, so. Was ficht dich jetzt
wieder an, Kind?»
«Nichts,
Madame. Ich habe nur das Gefühl, daß ich ein anderer bin. Ich glaube, ich sehe
schrecklich sonderbar aus.»
«Sag dem
dummen Kindchen, daß dem nicht so ist, Edward», seufzte Ihre Gnaden.
Edward
ertappte sich dabei, wie er Léonies Hand tätschelte.
«Meine
Liebe, was Milady sagt, stimmt. Sie sehen sehr schicklich und bezaubernd aus.»
«Pah!» rief
Léonie.
12
DAS
MÜNDEL SEINER GNADEN
Als Léonie zwei Wochen später vor dem
Spiegel in ihrem Zimmer einen Hofknicks probierte, trat Fanny mit der Nachricht
ein, daß Avon endlich eingetroffen sei. Léonie tauchte aus ihrem Knicks mit
mehr Hast als Grazie auf.
«Monseigneur!»
schrie sie auf und wäre aus dem Zimmer gestürzt, hätte ihr Fanny nicht resolut
den Weg versperrt. «Lassen Sie mich durch, lassen Sie mich durch! Wo ist er?»
«Bei Gott,
Léonie, auf solche Art empfängt man keinen Kavalier!» sagte Ihre Gnaden. «Wie
eine wilde Hummel, mit zerrauftem Haar und hochgeschürztem Kleid, die Treppe
hinunterzulaufen! Komm zum Spiegel zurück!»
«Oh, aber
...»
«Ich
bestehe darauf!»
Widerstrebend
kehrte Léonie zurück und ließ es untätig geschehen, daß Fanny ihr
primelfarbenes Seidenkleid in Ordnung brachte und die unbändigen Locken
zurechtkämmte.
«Léonie, du
nervenzerreibendes Geschöpf, wo ist dein Band?»
Léonie
förderte es schicksalsergeben
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