Georgette Heyer
keineswegs, doch sie war viel zu
höflich, um dies auszusprechen. Sie und Léonie ließen sich auf dem Baumstamm
nieder, während der kleine junge sie mit aufgerissenen Augen ansah.
«Niemand
mag Monseigneur, stelle ich fest», bemerkte Léonie. «Viel leicht nur ganz
wenige Leute. Lady Fanny und M. Davenant – und ich, natürlich.»
«Oh, Sie
mögen ihn also?» Jennifer blickte sie verwundert an.
«Wissen
Sie, er ist so gut zu mir», erklärte Léonie. «Ist das Ihr Söhnchen?»
«Ja, das
ist John. Komm, mach einen schönen Diener, John.»
John
gehorchte und wagte eine Bemerkung: «Ihr Haar
ist ja ganz kurz, Madam!»
Léonie riß
den Hut herunter.
«Aber wie
hübsch!» rief Jennifer. «Warum haben Sie's abgeschnitten?»
«Madame,
fragen Sie mich das bitte nicht. Ich darf's niemandem sagen. Lady Fanny verbot
es mir.»
«Hoffentlich
nicht wegen einer Krankheit?» sagte Jennifer mit einem ängstlichen Seitenblick
auf ihre Kinder.
«O nein!»
versicherte ihr Léonie. Sie zögerte abermals. «Monseigneur hat mir's allerdings
nicht verboten. Nur Lady Fanny, und sie ist nicht immer sehr klug, finden Sie
nicht auch? Und ich glaube auch nicht, daß sie mir verbieten würde, es Ihnen zu
sagen, denn Sie waren doch mit ihr zusammen im Kloster, n'est-ce pas? Also sehen
Sie, Madame, ich habe eben erst begonnen, ein Mädchen zu sein.»
Jennifer
war wie aus den Wolken gefallen.
«Wie bitte,
meine Liebe?»
«Seit
meinem zwölften Lebensjahr bin ich stets ein Junge gewesen. Dann fand mich
Monseigneur, und ich wurde sein Page. Und – und dann entdeckte er, daß ich gar
kein Knabe war, und machte mich zu seiner Tochter. Zuerst gefiels mir nicht,
und diese Unterröcke machen mir noch immer zu schaffen, aber in manchen Dingen
ist es recht angenehm. Nun hab ich so vieles, was mir allein gehört, und bin
eine Dame geworden.»
Jennifers
Augen erstrahlten in einem sanften Glanz. Sie tätschelte Léonies Hand.
«Wunderliches
Kind! Wie lange gedenken Sie in Avon zu bleiben?»
«Ich weiß
es nicht genau, Madame. Solange es Monseigneur wünscht. Und ich muß noch so
vieles lernen! Lady Fanny soll mich in die Gesellschaft einführen, glaube ich.
Nett von ihr, nicht wahr?»
«Wirklich
sehr liebenswürdig», stimmte Jennifer bei. «Sagen Sie mir, wie Sie heißen,
meine Liebe.»
«Léonie de
Bonnard, Madame.»
«Und Ihre
Eltern setzten den – den Herzog zu Ihrem Vormund ein?»
«N-nein.
Sie waren schon seit vielen Jahren tot, wissen Sie. Monseigneur hat das ganz
allein getan.» Léonie blickte auf das Baby hinab. «Ist auch dies Ihr Sohn, Madame?»
«Ja, Kind,
das ist Geoffrey Molyneux Merivale. Ist er nicht reizend?»
«Sehr», bestätigte
Léonie höflich. «Ich kenne mich bei Babies noch nicht sehr
gut aus. «Sie stand auf und griff nach ihrem Federhut. «Ich muß nun gehen,
Madame. Madam Field wird schon sehr aufgeregt sein.» Sie lächelte mutwillig.
«Sie ist eine richtige Gluckhenne, wissen Sie.»
Jennifer
lachte.
«Aber Sie
werden doch wiederkommen? Besuchen Sie mich doch einmal zu Hause, ich will Sie
mit meinem Mann bekannt machen.»
«Ja, bitte,
Madame. Ich komme sehr gerne. Au
revoir, Jean; au revoir, bébé!»
Das Baby
gluckste und winkte ziellos in die Luft. Léonie schwang sich in den Sattel.
«Ich weiß
nicht, was man zu einem Baby sagen soll», bemerkte sie. «Es ist natürlich
schrecklich nett», fügte sie hinzu. Sie machte eine Verbeugung, den Hut in der
Hand, wendete das Pferd und ritt auf dem Pfad zurück, den sie gekommen war.
Jennifer
nahm das Kind auf und schritt, nachdem sie John folgen geheißen hatte, durch
den Wald und den Park auf ihr Haus zu. Sie überließ die Kinder der Nurse und
machte sich auf die Suche nach ihrem Gatten.
Sie traf
ihn in der Bibliothek über seinen Rechnungen an; er war ein mächtiger, dabei
gelenkiger Mann mit humorvollen grauen Augen und einem energisch geschnittenen
Mund. Er streckte ihr seine Hand entgegen.
«Meiner
Treu, Jenny, du wirst mit jedem Mal hübscher, da ich dich sehe», sagte er.
Sie lachte
und setzte sich auf die Armstütze seines Stuhls.
«Fanny hält
uns für altmodisch, Anthony.»
«Oh, Fanny ...! In ihrem Innersten hat sie Marling doch recht gerne.»
«Sehr
gerne, Anthony, aber sie geht gleichzeitig mit der Mode und liebt es, wenn
andre Männer ihr nette Dinge ins Ohr flüstern. Ich fürchte, ich werde nie dem
Stadtleben Geschmack abgewinnen.»
«Meine
Liebe, wenn ich 'andre Männer' dabei ertappe, wie sie dir ins Ohr flüstern
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