Georgette Heyer
Wildfang», weinte Madam. «Und Rupert ein solcher Windbeutel! Oh, was
soll ich tun, Milord? Was soll ich tun?»
«Trocknen
Sie Ihre Tränen, bitte, Madam!» bat Merivale. «Ich bin überzeugt, daß es sich
um nichts so Ernstliches wie ein Durchbrennen handelt. Beruhigen Sie sich,
Madam, um Himmels willen.»
Doch Madam
erlag zu seinem Entsetzen einem ihrer Nervenanfälle. Lord Merivale wandte sich
an den Diener.
«Reiten Sie
nach Merivale zurück, Mann, und bitten Sie Milady, zu mir zu kommen», befahl
er, unbehaglich auf die niedergestreckte Dame schielend. «Und – und schicken
Sie mir Madams Kammerjungfer! Vielleicht spielen uns die Kinder nur einen
Streich», murmelte er in sich hinein. «Madam, ich flehe Sie an, sich nicht
ungebührlich aufzuregen!»
Madam
Fields Mädchen kam mit dem Riechfläschchen herbeigeeilt, und die Dame erholte
sich einigermaßen; sie lag auf dem Sofa und rief den Himmel zum Zeugen an, daß
sie ihr Bestes getan. Auf sämtliche Fragen Merivales wußte sie nur zu
antworten, sie hätte keine Ahnung gehabt, daß es so viel Schlechtigkeit auf der
Welt gebe, und sie wage nicht daran zu denken, was Justin dazu sagen würde. Da
traf Lady Merivale in ihrer Chaise ein und wurde in den Salon geführt.
«Madam! Ei,
Madam, was ist geschehen? Sind die beiden nicht zurückgekehrt, Anthony? Pfui,
die wollen uns einen Schrecken einjagen! Verlassen Sie sich drauf! Ängstigen
Sie sich nicht, Madam, sie werden bald zurückkommen.» Sie trat auf die erregte
Duenna zu und begann ihr die Hände zu reiben. «Beruhigen Sie sich, Madam. Ich
bin überzeugt, daß es keine ernste Sache ist. Vielleicht haben Sie sich
irgendwo verirrt, denn sie sind sicher miteinander ausgeritten.»
«Meine
Liebe, Rupert kennt jeden Zoll Boden hier», entgegnete Merivale gelassen. Er
wandte sich neuerlich an den Lakaien. «Seien Sie so gut, in den Stallungen
nachforschen zu lassen, ob Milord und Mistress Léonie die Pferde genommen
haben.»
Zehn
Minuten später kehrte der Mann mit der Nachricht zurück, daß Lord Ruperts Pferd
in seiner Box sei, die es den ganzen Tag nicht verlassen habe. Worauf Madam
einer zweiten Nervenkrise zum Opfer fiel und Merivale besorgt die Stirn
runzelte.
«Das
verstehe ich nicht», sagte er. «Wenn sie durchgegangen wären ...»
«Oh,
Anthony, das können sie nicht getan haben!» rief Jennifer außer sich. «Sicher
nicht! Das Kind hat doch nichts anderes im Sinn als den Herzog, und was Rupert
betrifft•...»
«Horch!»
unterbrach sie Milord scharf und hob die Hand.
Draußen
hörte man Hufegetrappel und das Knirschen von Rädern auf dem Kies. Madam fuhr
auf.
«Der Himmel
sei gepriesen, sie sind zurückgekommen!»
Einhellig
verließen Anthony und Jennifer die leidende Dame und eilten in die Halle. Das
große Eingangstor stand offen, und eintrat Seine Gnaden, der Herzog von Avon,
elegant angetan mit einem Rock aus feinstem purpurnem Samt, reich mit
Goldborten betreßt, einem Reisemantel mit zahlreichen Capes, beide nachlässig
offenstehend, und blancgewichsten Schaftstiefeln. Er verharrte auf der Schwelle
und hob das Lorgnon ans Auge, als er der Merivales ansichtig wurde.
«Du lieber
Gott!» sagte er mit schleppender Stimme. «Welch unerwartete Ehre. Ihro Gnaden
ergebenster Diener.»
«Heiliger
Himmel!» rief Merivale wie ein zerknirschter Junge aus. Seiner Gnaden Lippen
erzitterten leicht, doch Jennifer wurde feuerrot. Merivale trat einen Schritt
vorwärts.
«Sie müssen
dies für einen ungebührlichen Einbruch in Ihr Haus ansehen, Herzog», begann er
steif.
«Durchaus
nicht», erwiderte Seine Gnaden mit einer Verbeugung. «Ich bin entzückt.»
Merivale
gab die Verbeugung zurück.
«Ich wurde
zu Madam Fields Unterstützung gerufen», sagte er. «Sonst wäre ich nicht hier,
das können Sie mir glauben.»
Der Herzog
entledigte sich lässig seines Mantels und schüttelte seine Spitzenmanschetten
aus.
«Wollen wir
uns nicht in den Salon zurückziehen?» schlug er vor. «Sie sagten, glaube ich
verstanden zu haben, Sie seien zur Unterstützung meiner Cousine
hierhergekommen?» Er führte die beiden zum Salon und forderte sie mit einer
Verbeugung auf, einzutreten. Madam Field kreischte bei seinem Anblick auf und
fiel in ihre Kissen zurück.
«Barmherzigkeit,
's ist Justin!» rief sie.
Jennifer
trat auf sie zu.
«Beruhigen
Sie sich, Madam! Beruhigen Sie sich!»
«Sie
scheinen sonderbar erregt zu sein, Cousine», bemerkte Seine Gnaden.
«Oh,
Justin! Oh, Cousin! Ich hatte keine Ahnung! Sie
Weitere Kostenlose Bücher