Georgette Heyer
«Sie erstaunen mich», sagte er.
Sie
streckte zögernd die Hand aus.
«Sie hat
mir so vieles erzählt. Ich muß Ihrer – Güte sicher sein.» Sie machte eine
Pause. «Sir, was – was zwischen Ihnen und mir liegt, sei vergangen und
vergessen.»
Seine
Gnaden beugte sich über ihre Hand; seine Lippen lächelten. «Jenny, wollte ich
sagen, ich hätte vergessen, würde ich Sie kränken.»
«Nein»,
antwortete sie, und in ihrer Stimme schwang ein Lachen. «Ich wäre froh.»
«Meine
Liebe, ich wünsche nichts sehnlicher, als Sie froh zu sehen.»
«Ich glaube»,
sagte sie, «nun gibt es jemand, der in Ihrem Herzen größeren Raum einnimmt, als
ich's je getan.»
«Sie irren,
Jenny. Ich habe kein Herz», erwiderte er.
Schweigen
senkte sich herab. Ein Lakai unterbrach es.
«Euer
Gnaden, das Kabriolett steht bereit.»
«Wie wollen
Sie die Überfahrt machen?» fragte Merivale.
«Auf der Silver
Queen. Sie liegt im Hafen von Southampton – außer, Rupert hätte sie bereits
in Beschlag genommen. Sollte dies der Fall sein, muß ich wohl ein Schiff
mieten.»
Mr. Manvers
tauchte auf.
«Sir, ich
mag nicht länger bei dieser Frau mit der Nervenkrise bleiben», sagte er. «Sie
haben gut reden, daß Sie mein Pferd satt haben, doch ich verlange seine
augenblickliche Rückerstattung!»
Der Herzog
hatte gravitätisch seinen Mantel umgelegt und griff nun nach Hut und
Handschuhen.
«Milord
Merivale wird Ihnen mit Vergnügen behilflich sein», sagte er mit dem Schimmer
eines Lächelns. Er machte allen eine tiefe Verbeugung, dann war er
entschwunden.
19
LORD
RUPERTS GEGENSTREICH
Léonie erwachte seufzend. Übelkeit drohte
sie zu übermannen, und einige Minuten lang lag sie mit geschlossenen Augen
noch halb betäubt da. Mit der Zeit ließ die Wirkung der Droge nach, und sie
führte mühsam eine Hand an den Kopf. Verwirrt blickte sie um sich und
entdeckte, daß sie allein auf einem Sofa in einem fremden Raum lag. Nach und
nach stellte sich das Gedächtnis wieder ein; sie stand auf und trat ans
Fenster.
«Tiens!» sagte sie im
Hinausblicken. «Wo bin ich denn jetzt? Ich kenne diese
Gegend nicht. Es ist die See.» Sie starrte bestürzt auf den Hafen. «Dieser Mann
gab mir etwas Übles zu trinken, erinnere ich mich nun. Und ich fiel darauf wohl
in Schlaf. Wo ist der böse Comte? Ich glaube, ich habe ihn recht fest gebissen,
und ich weiß, daß ich ihm einen Tritt gab. Und dann kamen wir in dieses
Wirtshaus – wo war's denn nur? Meilenweit weg von Avon –, und er brachte mir
Kaffee.» Sie kicherte. «Und ich schüttete ihn ihm ins Gesicht! Wie er da
fluchte! Dann brachte er nochmals Kaffee und zwang mich, ihn zu trinken. Brrr!
Kaffee nannte er das? Ein Sautrank war's! Was geschah dann? Peste, ich
weiß nicht mehr!» Sie wandte sich um, blickte auf die Kaminuhr und runzelte die
Stirn. «Mon Dieu, was soll dies?» Sie trat zur Uhr und faßte sie fest
ins Auge. «Sotte!» sprach sie sie an. «Wie kannst du die Mittagsstunde
zeigen? Mittag war's, als er mich diesen ekligen Sautrank hinunterzuwürgen zwang. Tu ne marches pas.»
Doch das
ununterbrochene Ticken strafte sie Lügen. Sie legte den Kopf schief.
«Comment?
Voyons, das versteh
ich nicht. Außer ...» ihre Augen weiteten sich – «es wäre schon Morgen?» fragte
sie sich. «Es ist Morgen! Dieser
Mann versenkte mich in Schlaf, und ich habe den ganzen Tag und die ganze Nacht
geschlafen! Sacré bleu, habe ich eine Wut auf diesen Mann! Bin froh, daß
ich ihn gebissen habe. Er will mich sicher töten, aber warum? Vielleicht wird
Rupert mich retten kommen, doch ich glaube, ich werde mich lieber selbst retten
und nicht auf Rupert warten, denn ich mag nicht von diesem Comte getötet
werden.» Sie überlegte. «Nein, vielleicht will er mich gar nicht töten. Doch
wenn nicht – Grand Dieu, kann's sein, daß er mich entführt? Nein, das
ist nicht möglich, hält er mich doch für einen Knaben. Und ich glaube nicht,
daß er mich sehr lieben kann.» Ihre Augen zwinkerten voll Mutwillen. «Nun will
ich fliehen», sagte sie.
Doch die
Tür war versperrt, und die Fenster waren zu klein, als daß man durch sie hätte
schlüpfen können. Das mutwillige Zwinkern erstarb, und der zarte Mund verzog
sich zu einer rebellischen Grimasse.
«Parbleu,
mais c'est infâme! Er
sperrt mich ein, enfin! Oh, ich bin sehr, sehr zornig!» Sie legte den
Finger auf die Lippen. «Hätte ich einen Dolch, würde ich ihn töten, aber ich
habe keinen Dolch, taut pis. Was nun?» Sie hielt inne. «Ich glaube,
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