Georgette Heyer
einen Bauernhof vor sich. Einer
Eingebung folgend, zügelte Léonie das Pferd und brach dann durch die Hecke ins
freie Feld hinaus. Sie hetzte es im Galopp querfeldein.
Rupert schwankte im Sattel hin und her.
«Was – hast
du vor?» fragte er heiser.
«Laisse
moi!» wiederholte
sie. «Wir waren zu nahe der Straße. Sicher hätte er nach uns Ausschau
gehalten. Ich reite weiter weg.»
«Verdammt
noch mal, laß ihn doch nach uns Ausschau halten! Ich werd ihm eine Kugel durch
sein schwarzes Herz jagen, meiner Seel, ich werd's
tun!»
Léonie
schenkte seinen Worten keine Beachtung, sondern ritt, vorsichtig nach einem
Schlupfwinkel suchend, weiter. Sie wußte, daß Rupert starken Blutverlust erlitt
und nicht mehr lange durchhalten konnte. In der Ferne erblickte sie zur Rechten
eine Kirchturmspitze und hielt, von kalter Furcht durchschauert, auf sie zu.
«Nur Mut,
Rupert! Halt dich an, es wird schon gehen!»
«Ach, mir
geht's ganz gut», sagte Rupert schwach. «Hol der Teufel den Mut! Nicht ich
war's, der davonlaufen wollte! Verdammt, ich kann meine Hand nicht zum Loch
hinaufbringen, das er in mich geschossen hat! Sachte, sachte, und gib auf die
Kaninchenlöcher acht!»
Nach einer
Meile erreichten sie das Dorf, einen kleinen Hafen des Friedens, von einer
freundlichen Kirche überragt. Die auf den Feldern arbeitenden Leute starrten
betroffen auf das dahinrasende Paar. Doch dann ritten sie schon auf dem Katzenkopfpflaster
der Straße, bis sie zu einem kleinen Wirtshaus kamen, vor dessen Tür ein Schild
hin und her schwankte; baufällige Stallgebäude umringten den Hof.
Léonie
zügelte das Pferd, das zitternd stehenblieb. Ein Stallbursch, den Besen in der
Hand, glotzte sie an.
«He, Er
da!» rief Léonie gebieterisch. «Komm Er und helf Er Monsieur
herunter! Schnell, Dummkopf! Er wurde von – Wegelagerern verwundet!»
Der Mann
blickte ängstlich die Straße hinab, doch da kein Räuber ringsum zu sehen war,
befolgte er Léonies Befehl. Dann kam der Wirt geschäftig herbeigeeilt, ein
riesiger Mann mit einer aufs Geratewohl zurechtgerückten Perücke und lustig
zwinkernden Augen. Léonie streccte ihm die Hand entgegen.
«Ah, la
bonne chance!» rief
sie. «Helfen Sie uns, M'sieur, ich flehe Sie an! Wir sind unterwegs nach Paris,
und eine Bande Straßenräuber hat uns aufgelauert.»
«Tod und
Teufel!» fluchte Rupert. «Bildest du dir ein, ich wäre vor einem Pack
schmieriger Straßenräuber davongelaufen? Denk dir eine andere Geschichte aus,
um Himmels willen!»
Der Wirt
legte einen Arm um den jungen Lord und hob ihn herab. Léonie glitt zu Boden, wo
sie zitternd stehenblieb.
«Mon
Dieu, welch eine
Flucht!» sagte der Wirt. «Diese Wegelagerer! He, Hector, packe M'sieurs Beine
und hilf ihn in ein Gästezimmer tragen.»
«Der Teufel
hol Euch, laßt meine Beine in Ruhe!» brüllte Rupert. «Ich kann – ich kann
alleine gehen!»
Doch der
Wirt, ein erfahrener Mann, sah, daß Rupert einer Ohnmacht nahe war, und trug
ihn ohne Umschweife die Treppe in ein kleines Zimmer unterm Dachgiebel hinauf.
Er und der Stallbursch legten ihn aufs Bett, und Léonie fiel neben ihm auf die
Knie nieder.
«Oh, er ist
zu Tode verwundet!» rief sie. «Helfen Sie mir seinen Rock ausziehen!»
Rupert
schlug die Augen auf.
«Quatsch!»
sagte er und versank in Bewußtlosigkeit.
«Ah, ein
Engländer!» rief der Wirt, während er sich mit Ruperts eng-sitzendem Anzug
abmühte.
«Ein
englischer Lord», nickte Léonie.. «Ich bin sein Page.»
«Tiens! Man erkennt, daß er ein großer Herr
sein muß. Oh, wie ist der feine Rock besudelt! Das Hemd müssen wir zerreißen.»
Während er damit beschäftigt war und Rupert zur Seite wandte, legte er die
Wunde bloß. «Das bedarf eines Wundarztes, bien sûr. Hector soll nach Le
Havre reiten. Diese elenden Wegelagerer!»
Léonie stillte
eifrig das Blut.
«Ja, ein
Wundarzt!» Sie fuhr zusammen. «Aber Le Havre! Er wird uns – sie werden uns dort verfolgen!» Sie wandte sich an den
Wirt. «Hector darf nichts von uns wissen, wenn er ausgefragt wird.»
Der Wirt
war verblüfft.
«Nein,
nein, das würden die nie wagen! Wegelagerer halten sich draußen auf dem Land
auf, mein Kind.»
«Es – es
waren keine – Wegelagerer», gestand Léonie errötend. «Und ich bin in
Wirklichkeit nicht Lord Ruperts Page.»
«Nein? Was soll das?» fragte der Wirt.
«Ich – ich
bin ein Mädchen», sagte Léonie. «Ich bin das Mündel des englischen Herzogs von
Avon, und – und Lord Rupert ist sein Bruder!»
Der
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