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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Page und die Herzogin
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ich
habe ein bißchen Angst», gestand sie sich. «Ich muß diesem bösen Menschen
entkommen. Es wird vielleicht besser sein, wenn ich mich noch immer schlafend
stelle.» Es erklangen Tritte. Wie ein Blitz kehrte Léonie auf das Sofa zurück,
hüllte sich in ihre Jacke und schloß die Augen. Ein Schlüssel knarrte im
Türschloß, und jemand trat ein. Léonie vernahm Saint-Vires Stimme. «Bringen Sie
das déjeuner hierher, Victor, und lassen Sie niemanden eintreten. Das
Kind schläft noch immer.»
    «Bien,
m'sieur.»
    «Wer mag
wohl Victor sein?» wunderte sich Léonie. «Ach, der Diener! Dieu me sauve!»
    Der Graf
trat an das Sofa, beugte sich über sie und horchte auf ihren Atem. Léonie
trachtete das unglückselig laute Klopfen ihres Herzens zu unterdrücken. Der
Graf bemerkte offenbar nichts Außergewöhnliches, denn er trat wieder weg.
Plötzlich hörte Léonie Porzellangeklirr.
    «Wirklich
unerträglich, daß ich diesen Schweinekerl essen hören muß, wo ich doch so
hungrig bin», dachte sie. «Oh, ich werde es ihm heimzahlen!»
    «Wann
wollen M'sieur die Pferde geschirrt haben?» erkundigte sich Victor.
    «Oho!»
dachte Léonie. «Wir reisen also weiter!»
    «Nun
brauchen wir uns nicht mehr zu eilen», antwortete Saint-Vire. «Dieser junge
Narr, dieser Alastair, wird uns nicht nach Frankreich folgen. Wir brechen um
zwei Uhr auf.»
    Fast hätte
Léonie die Augen aufgerissen. Nur mühsam hielt sie sich in Gewalt.
    «Le
misérable!» dachte
sie aufgebracht. «Bin ich in Calais? Nein, das ist bestimmt nicht Calais.
Vielleicht bin ich in Le Havre. Noch sehe ich nicht ganz klar, was ich tun
werde, aber ich werde auf jeden Fall weiterschlafen. Wir reisten also nach
Portsmouth. Ich glaube ja, daß Rupert kommen wird, wenn er gesehen hat, wohin
wir fuhren, aber ich darf nicht auf ihn warten. Gern möchte ich diesen Mann
nochmals beißen. Diable, ich bin scheint's in großer Gefahr. Mir wird's
ganz eisig zumute und ich wollte, Monseigneur käme herbei. Das ist natürlich
närrisch. Er weiß ja nicht, daß mir etwas zugestoßen ist. Ah, pah! Nun ißt
dieser Schweinekerl, während ich vor Hunger sterbe! Das soll ihm noch leid
tun!»
    «Der
Bursche schläft aber übermäßig lang, M'sieur», sagte Victor. «Der sollte jetzt schon
bald erwachen.»
    «Das
erwarte ich nicht», erwiderte Saint-Vire. «Er ist jung, und ich habe ihm eine
starke Dosis gegeben. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung, und es ist
meinem Vorhaben dienlicher, wenn er noch eine Weile weiterschläft.»
    «Sans
doute!» dachte
Léonie. «Es war also doch so, daß er mich betäubte! Ist der aber
niederträchtig schlecht! Ich muß schwerer atmen.»
    Die Zeit
schleppte sich dahin, doch schließlich entstand draußen Bewegung, und Victor
trat abermals ins Zimmer.
    «Die
Kutsche wartet, M'sieur. Soll ich den Jungen nehmen?»
    «Das
besorge ich. Haben Sie die Rechnung bezahlt?»
    «Ja,
M'sieur.»
    Saint-Vire
trat auf Léonie zu und hob sie empor. Schlaff lag sie in seinen Armen.
    «Ich muß
meinen Kopf zurückfallen lassen, so! Und meinen Mund ein bißchen öffnen, so! Voyons, ich bin ja doch recht gescheit! Aber ich weiß nicht im mindesten, was mit
mir geschieht. Dieser Mann ist toll geworden.»
    Sie wurde
hinausgetragen, in die Kutsche gelegt und mit Kissen gestützt.
    «Schlagen
Sie die Richtung nach Rouen ein», befahl Saint-Vire. «En avanti»
    Die Tür
wurde zugeschlagen, Saint-Vire ließ sich neben Léonie nieder, und die Kutsche
setzte sich in Bewegung.
    Léonie
überdachte die Lage.
    «Das wird
immer schwieriger. Ich sehe, ich kann nichts anderes tun als weiterschlafen,
solange dieser Mensch neben mir sitzt. Wir werden wohl bald halten müssen, um
die Pferde zu wechseln, denn die sind nicht gut, glaube ich. Vielleicht wird
dieser Schweinekerl aussteigen. Wenn er mich schlafend glaubt, wird er's tun,
denn er wird wieder essen wollen. Aber ich sehe noch immer nicht, wie ich
fliehen soll. Ich will zum Bon Dieu beten, daß Er mir einen Weg weise.»
    Mittlerweile
bewegte sich die Kutsche noch in einem recht raschen Tempo dahin; der Graf zog
ein Buch aus der Tasche und begann zu lesen, wobei er gelegentlich einen
Seitenblick auf die leblose Gestalt neben ihm warf. Einmal fühlte er Léonie
den Puls und schien befriedigt zu sein, denn er glitt wieder in seine Ecke
zurück und nahm seine Lektüre neuerlich auf.
    Sie befanden
sich wohl schon mehr als eine Stunde auf der Straße, als es geschah. Ein
fürchterlicher Krach, ein Ruck, und während die Männer

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