Gepaeckschein 666
durch die Zimmertür rief. Aber das kam sehr selten vor.
„Zeit!“
Noch vier Runden, eine nach der anderen. Dann war der erste Teil des Trainings vorbei.
Die Jungen legten sich ihre Handtücher über die Schultern und zogen Pullover oder Bademäntel an, was sie eben hatten.
In diesem Augenblick kam Fleischermeister Winkelmann.
Herr Winkelmann war groß und breit wie ein Kleiderschrank. Er hatte seitlich an den Schläfen und in seinem Bart schon ein paar weiße Haare.
„Ring frei!“ sagte Herr Winkelmann mit seiner lauten Stimme, lachte und schlug schallend seine Hände zusammen. Dabei gab es einen kräftigen Knall, denn jede Hand von Herrn Winkelmann war so groß wie ein zweipfündiges Kalbsschnitzel. „Wie geht’s , wie steht’s?“
„Guten Abend, Herr Winkelmann“, sagten die Jungen.
„Guten Abend“, antwortete Herr Winkelmann und gab den Jungen nacheinander seine Hand, zum Schluß auch Vater Kuhlenkamp.
„Schon im Ring?“
„Wir fangen gerade an damit“, antwortete Vater Kuhlenkamp.
„Also los!“ sagte Herr Winkelmann und setzte sich mitten unter die Jungen. Die Bank quietschte etwas.
Zuerst boxte ein Lehrling von Telefunken gegen den kleinen Horst Buschke, der am U-Bahneingang Mönckebergstraße Schuhe putzte.
„Zeit!“ sagte Vater Kuhlenkamp wieder einmal und kletterte zu den zwei Jungen als Schiedsrichter in den Ring.
Kampf für Kampf ging es jetzt durch alle Gewichtsklassen. So kam es, daß die Jungen, die sich im Ring gegenüberstanden, immer schwerer und größer wurden. Im Mittelgewicht holte sich der Sheriff den Sieg. Allerdings erst in einer wilden dritten Runde. Bis dahin war sein Gegner ziemlich gleichwertig gewesen.
Auch Peter Pfannroth hatte es nicht leicht.
Bis zum vergangenen Jahr war Peter noch in der Gewichtsklasse des Sheriffs angetreten. Aber inzwischen war er größer geworden und natürlich auch schwerer. Aber noch nicht schwer genug. Er lag mit seinem Gewicht jetzt sozusagen zwischendrin. Das hieß, daß er
im Halbschwergewicht boxen mußte. Und zwar mit dem Nachteil, daß er meist Gegner hatte, die mehr an der oberen Grenze seiner neuen Gewichtsklasse lagen und ihm deshalb körperlich mit einigen Kilo voraus waren. Aber Peter war sehr gewandt. Dazu kam, daß er sehr hart schlagen konnte, vor allem mit seiner Rechten. Und mit dieser Rechten schaffte er es dann auch.
Peters Gegner, ein stämmiger, etwas untersetzter Junge mit sehr kurzen, roten Haaren, lief ihm mit seiner Kinnspitze direkt in einen Aufwärtshaken. Das war natürlich Pech.
Als Vater Kuhlenkamp bereits bis zum „Aus“ gezählt hatte, sah der Junge immer noch verwundert um sich. Peter half ihm wieder auf die Beine, und erst jetzt wurde dem Rothaarigen klar, was in den letzten zwanzig Sekunden passiert war.
Er grinste und legte Peter seine rechte Hand mit dem Boxhandschuh auf die Schulter.
Der letzte Kampf im Schwergewicht war ziemlich einseitig. Ein langer, breitgewachsener Junge, der im Gegensatz zu seiner Größe noch ein richtiges Kindergesicht hatte, war in der „Astoria“-Jugendmannschaft als einziger für die höchste Gewichtsklasse schwer genug. Damit er innerhalb des Vereins überhaupt einen Trainingspartner hatte, mußte sich jetzt Vater Kuhlenkamp höchstpersönlich die Boxhandschuhe anziehen.
Aber das „Kindergesicht“ hatte offenbar vor dem Älteren überhaupt keinen Respekt.
Das ging gut, bis Vater Kuhlenkamp in der letzten Runde Ernst machte. Jetzt war das „Kindergesicht“ völlig ratlos. Der Junge kam überhaupt nicht mehr an seinen Gegner heran. Vater Kuhlenkamp traf ihn, wie er es wollte. Allerdings deutete er seine Schläge nur an, sonst wäre das „Kindergesicht“ wohl kaum stehend über die Runde gekommen.
„Gong!“ rief endlich Herr Winkelmann, der für diesen Kampf die Rolle des Schiedsrichters und die Stoppuhr übernommen hatte.
Vater Kuhlenkamp stupste dem „Kindergesicht“ zum Abschluß noch einmal lachend seine rechte Faust vor die Nase. Da nahm der Junge diese rechte Faust, grinste ebenfalls und hob sie steil in die Luft. Und jetzt tobten und klatschten alle Jungen wie bei einem richtigen Boxkampf, wenn der Sieger verkündet wird.
„Ruhe!“ rief Herr Winkelmann dazwischen. „Schon gut. Aber denkt doch an Frau Kuhlenkamp!“
Da war es sofort wieder mucksmäuschenstill.
„Stört mich aber gar nicht. Ich höre es sogar sehr gern, wenn die Jungen vergnügt sind“, klang es aus der Tür mit dem Schild „Privat“ ziemlich laut und deutlich,
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