Gepaeckschein 666
waren.
Jungen mit Umgangsformen gesucht!
Die Pfannroths bewohnten mit ihrem Untermieter, einem gewissen Rochus Kalinke , zusammen hinter dem Rangierbahnhof eine Dreizimmerwohnung im vierten Stock. Herr Kalinke bezahlte für sein Zimmer gleich rechts neben der Wohnungstür fünfundzwanzig Mark im Monat, einschließlich Morgenkaffee und Küchenbenutzung. Er war Inspizient an der Städtischen Oper, ging meistens schon früh aus dem Hause und kam erst nach den Vorstellungen wieder. Alles in allem also ein idealer Untermieter, bis auf einen Punkt.
Es gibt eben keinen Sonnenschein ohne Schatten.
Leider beschäftigte sich nämlich Herr Kalinke mit Astrologie und hielt sich dazu noch für einen Hellseher. Kurzum, er hatte bisweilen ein „zweites Gesicht“. Und wenn man schon so ein „zweites Gesicht“ hat, will man es natürlich auch ausprobieren.
Herr Kalinke sah sich also nach Opfern um. Zuerst und weil es am nächsten lag, innerhalb der Dreizimmerwohnung. Aber die Pfannroths lachten nur und empfahlen ihm Baldriantropfen. Das sei gegen jede Art von Magenbeschwerden noch immer das beste.
Bei der Frau des Hauswirts hatte Herr Kalinke schon mehr Glück. Und als er schließlich Frau Kornebitter vom zweiten Stock links für kommenden Mittwoch einen „schwarzen Tag“ voraussagte und als dann an diesem Mittwoch tatsächlich der Kornebittersche Kanonenofen explodierte - zum Glück war niemand im Zimmer -, da sprachen sich Kalinkes hellseherische Gaben herum wie die niedrigsten Eierpreise.
Jetzt rannte man ihm die Tür ein, und die Leute meldeten sich an wie beim Zahnarzt.
Dabei hing der Beginn der Sprechstunde jeweils vom Spielplan der Städtischen Oper ab. Wenn zum Beispiel die „Meistersinger“ dran waren, wurde es immer besonders spät.
Da der Kohlenkeller bis dicht an die Tür voller Kohlen war, nahm Peter sein Fahrrad über Nacht immer mit in die Wohnung. Er kletterte die vier Stockwerke hoch, ohne eine Pause einzulegen, als ob er nicht eben aus dem Kuhlenkampschen Training käme.
Als er die Wohnungstür aufgeschlossen hatte, setzte er sein Fahrrad ab und sagte: „Guten Abend“.
Da saßen nämlich schon wieder zwei Frauen und ein Mann im Flur vor der Kalinkeschen Zimmertür und warteten.
Der Mann verkroch sich hinter einer Zeitung. Vielleicht schämte er sich ein wenig.
„Die Dummen sterben offenbar immer noch nicht aus“, dachte Peter und stellte sein Rad an die Seite. Er nahm seine Ledertasche vom Gepäckträger und ging kopfschüttelnd zum Ende des schmalen Korridors. Dort trat er ins Zimmer und sagte jetzt: „Guten Abend, Frau Pfannroth!“
„Gut, daß du kommst. Du kannst gleich mal das Nadelkissen nehmen“, erwiderte Mutter Pfannroth und hielt ihre rechte Backe hin. Peter gab seiner Mutter auf die hingehaltene Backe einen Kuß. Dann legte er seine Ledermappe auf den Tisch und nahm das Nadelkissen.
„Immer zu Diensten, Frau Pfannroth. Wie ist das werte Befinden?“
Aber Peters Mutter war viel zu sehr beschäftigt, um gleich wieder zu antworten. Sie war eben dabei, ein Durcheinander von blau-weiß-kariertem Stoff in Ordnung zu bringen. Dazu brauchte sie eine Unmenge Stecknadeln.
Endlich nahm das Durcheinander einigermaßen Form an, und da entdeckte Peter zwischen all den blau-weißen Karos so etwas wie Haare und einen Kopf.
„Wenn mich nicht alles trügt, habe ich die Ehre, Frau Sauerbier bei uns begrüßen zu dürfen“, sagte Peter.
Der Kopf zwischen den Karos erwiderte: „Sie haben richtig geraten, junger Mann. Guten Abend.“
Frau Sauerbier hatte an der Ecke nebenan ein sogenanntes Gemischtwarengeschäft, wie es in der Stadt nur noch wenige gab. Mutter Pfannroth gab sich mit ihr immer besonders viel Mühe. Und Frau Sauerbier erwies sich dafür in ihrem Laden beim Bedienen der Kundschaft erkenntlich, indem sie so zwischen dem Einwiegen von Kristallzucker und Leberwurst immer wieder jedem sagte, der es wissen wollte, daß sie nur bei Frau Pfannroth arbeiten ließe und daß weit und breit keine bessere Schneiderin denkbar sei.
„Wie gefällt Ihnen mein neues Muster, junger Kavalier?“ fragte Frau Sauerbier und sah dabei in den Spiegel.
„Mit Ihren Konservendosen und Dauerwürsten zusammen gibt das bestimmt ein sehr buntes und lustiges Bild“, meinte Peter.
Die beiden Frauen wollten sich ausschütten vor Lachen.
„Das ist ausgezeichnet!“ japste Frau Sauerbier. Sie bekam beinahe keine Luft mehr. Endlich, als sie sich wieder beruhigt hatte, waren ihre Augen ganz rot und
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