Gepeinigt
Interesse an dem Fall haben. Aber ich leite diese Untersuchung. Und wenn ich dauernd darauf achten muss, dass Sie auch das tun, was man von Ihnen verlangt, dann kann ich Sie nicht gebrauchen, dann sind Sie nur eine Last und gefährden möglicherweise die Aufklärung.«
Mary hasste es, gemaÃregelt zu werden. Auch wenn es gut gemeint war. Die feinen Härchen an ihren Armen richteten sich auf. Trotzig fragte sie sich, ob Tina sie wohl hören konnte. Nick sprach zwar leise, aber seine Stimme war scharf wie ein Dolch.
Sie holte tief Luft.
»Jawohl, Sir.«
»Wir wissen beide, dass Abrahams den Fall nur zu gerne selbst übernehmen würde. Aber meiner Ansicht nach aus den falschen Gründen. Wenn Sie also vorhaben, gegen mich zu arbeiten, Mary, dann können wir ihm den Fall ebenso gut gleich auf einem Silbertablett servieren.«
»Kapiert«, brummte sie böse. Zu einer Entschuldigung konnte sie sich beim besten Willen nicht durchringen.
»Das hoffe ich sehr. Tina macht die Dateneingabe. Wir warten bis heute Nachmittag. Mal sehen, ob der Computer dann was ausspuckt. Mein Problem ist vor allem die Frage nach dem Warum. Unterhalten Sie sich mit Claudia darüber, wenn Sie nachher unterwegs sind. Vielleicht haben Sie ja eine Idee. Betrachten Sie die Sache von zwei Blickwinkeln: Die Entführung war entweder willkürlich oder eine gezielte Aktion. Okay?«
»Ja, Sir.«
»Was ist das?«, fragte er und deutete auf die Mappe.
»Die Aufstellungen, um die Sie mich gebeten haben â was sich in meiner Handtasche und in meinem Auto befunden hat.«
»Okay.«
Als er die Mappe nahm, beobachtete sie ihn mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit.
»Also gut. Sollen wir?«
Da sie momentan sehr empfindlich auf ihre Umgebung reagierte, suchte Mary nach Anzeichen dafür, dass Nick ihre beschämende Angst vor ihren Kollegen bemerkt hatte. Nick blinzelte und neigte den Kopf zur Seite. Unmöglich zu sagen, was er dachte.
»Ja, sicher.«
Nick war als Erster an der Tür. Er verzichtete darauf, den Gentleman zu spielen, und Mary war ihm dankbar dafür. Sie ging hinter ihm her, vorbei an Tinas Kämmerchen und durch die Tür zu den Diensträumen. Es war nicht leicht, mit ihm Schritt zu halten, aber sie biss die Zähne zusammen, konzentrierte sich auf ihre Schmerzen, um sich vor dem unvermeidlichen Mitleid ihrer Kollegen zu wappnen, vor dem ihr graute.
Aber die erste Reaktion, mit der sie beim Betreten konfrontiert wurde, war keineswegs Mitleid. Wie ein ins Schleudern geratenes Fahrzeug stieà ihr Blick mit dem von Paul Temple zusammen, der lässig an seinem Schreibtisch saà und ihr erwartungsvoll entgegenblickte. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch seine Augen blitzten zufrieden auf. Er hätte sich ebenso gut ein Schild um den Hals hängen können, auf dem er seiner Schadenfreude über ihre Lage Ausdruck gab. Sie hätte ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt, hielt sich aber zurück. Arschloch.
»Nur ein paar blaue Flecken, Paul, nichts weiter. Aber danke der Nachfrage.« In die Offensive zu gehen passte zu ihr. AuÃerdem bekam auf diese Weise jeder die Gelegenheit, sie kurz anzuglotzen, ohne ihr dabei in die Augen schauen zu müssen.
»Wir sollten uns erst mal den Typen angucken, was?«, fragte Paul betont heiter.
»Das werdet ihr.«
»Hm. Wohl kaum, nach dem, was Sie uns an Infos geliefert haben.«
Nicks Antwort kam nur eine Sekunde vor Marys Reaktion, und der Tonfall konnte nicht unterschiedlicher sein: tief und sachlich, während Marys Erwiderung hoch und scharf klang. Zumindest ging dadurch keins ihrer Worte unter.
»Sie gehen zu weit, Paul.«
»Wollen Sie sich über mich lustig machen, Paul?«
Stille.
»Liebe Güte, Mary, das würde mir im Traum nicht einfallen«, sagte er gespielt erschrocken.
Mary entging nicht, dass seine Antwort ihr galt und nicht Nick, der den gleichen Rang wie Paul hatte.
Nick sagte streng:
»Abrahams hat Paul den Auftrag gegeben, den GroÃeinsatz am Freitag zu koordinieren. Er wird natürlich Fragen an Sie haben, Sie können sie später beantworten.« Mary lieà ihren Gegner nicht aus den Augen. »Aber jetzt möchte ich, dass Sie erst mal mit Claudia zusammenarbeiten.«
Nicks Bemerkung zwang sie, sich zum ersten Mal dem Rest der Anwesenden zuzuwenden. Sie nickte jedem knapp zu.
»Wes, Tom, Nathan, Claudia.«
»Hallo«, sagte
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