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Gepeinigt

Titel: Gepeinigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theresa Saunders
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Licht. Sie strich über ihre Haare, ergriff einige Strähnen, die sich aus den Clips gelöst hatten, und atmete tief durch. Sie befühlte ihren Nacken, ob sie weitere lose Strähnen vergessen hatte, und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm zu. Sie war so müde, dass die Zeilen vor ihren Augen verschwammen. Sie blinzelte. Suchvorgang abgeschlossen. Gut. Sie e-mailte die Ergebnisse an Tina.
    Claudia war froh, wenigstens eine ihrer beiden Aufgaben
bereits am Vormittag erledigt zu haben. Sie hoffte mit allem in Rekordzeit fertig zu werden, damit sie sich ein paar Minuten allein nach draußen ins Freie flüchten konnte. Hier drin im offenen Büro herrschte eine Atmosphäre wie in einem Sumpf: stickig, düster, undurchdringlich. Die Anspannung war zum Schneiden. Um Nicks Stirn hingen dunkle Gewitterwolken, Paul verharrte in verbissenem Schweigen, und Wes tappte nervös mit der Fußspitze. Alles Anzeichen, dass irgendetwas in der Luft lag. Etwas würde passieren. Aber was? Und vor allem wann?
    Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Zunächst hatte sie nicht begriffen, was los war. Wie nicht anders zu erwarten, hatte sich jeder nach dem Briefing sofort an die Arbeit gemacht. Nur kurze Zeit später, Claudia kam es so vor, als hätte sie es mal wieder als Letzte mitgekriegt, hatte sie den Kopf gehoben und gemerkt, dass etwas nicht stimmte.
    Rasch war ihr klargeworden, woran es lag.
    Mary würde bald wieder hier sein.
    Doch es würde nie wieder so sein wie früher. Anstatt Mary, wie sie es sonst taten, zu ignorieren, würden sie sie unverhohlen oder hinter ihrem Rücken anstarren und ihre äußeren Verletzungen genau in Augenschein nehmen, um sich dann wie die Aasgeier auf ihre inneren Verwundungen zu stürzen, die Geist und Seele davongetragen hatten.
    Aber nicht nur Mary wäre anders. Auch sie als Kollegen würden alles versuchen, ihr normales Verhalten zu überkompensieren. Paul verzichtete wahrscheinlich auf seine sonstigen schmierigen sexuellen Anspielungen, Wes verkniff sich seine Witze, Tom, der Mary gegenübersaß, wüsste nicht, wo er hinschauen, was er sagen sollte, Nathan würde abwarten und sich am Verhalten der anderen Jungs orientieren, Nick wäre mürrisch und verschlossen. Und sie selbst?
Wahrscheinlich wäre sie überfreundlich und zöge, ohne es zu wollen, erst Marys Zorn und in der Folge den der anderen auf sich.
    Aber das alles wäre nur vorübergehend. Am schwersten vorherzusagen waren die langfristigen Veränderungen. Wie Mary, sie alle, mit ihrem Trauma fertigwerden würden, konnte sehr wohl die Hierarchie des Teams auf den Kopf stellen. Und diese Unbekannte war es, die alle so nervös machte.
    Claudia stieß sich seufzend auf ihrem rollenden Bürostuhl vom Schreibtisch ab. Doch ihre eingeschlafenen Beine machten eine zu kräftige Bewegung, und sie landete aus Versehen fast an Marys Platz. Mehrere Köpfe hoben sich, Brauen wurden gerunzelt, ein stummer Vorwurf für ihre Ungeschicklichkeit.
    Nicht zum ersten Mal kam sie sich fehl am Platz vor, fühlte sich wie eine Außenseiterin. Lag es daran, weil sie im Moment die einzige Frau im Team war? Oder weil sie noch relativ neu war? Wie Nathan. Sie fragte sich, ob ihn wohl ähnliche Ängste plagten. Aber sie war klug genug, ihn nicht darauf anzusprechen, sich nicht seinen Spott zuzuziehen.
    Sie erhob sich und schob ihren Stuhl fein säuberlich an ihren Schreibtisch zurück. Dann holte sie ein paar Unterlagen aus dem Drucker, legte sie ab und ergriff die Flucht in Richtung Klo.
    Glücklicherweise befand sich niemand in dem kleinen Raum. Sie schaute in den großen Spiegel. Das gnadenlose Licht der Leuchtstoffröhren tat ihrem Äußeren keinen Gefallen. Heute hatte sie ihre Haare zu einem Knoten aufgesteckt, doch wirkten ihre krausen roten Ringellocken alles andere als glatt. Ihre Augen mit den dunklen Ringen blickten trübe, und ihre Grübchen ließen sie heute hager erscheinen. Sie hielt ihre Hände unters kalte Wasser und presste sie behutsam
um Augen, Mund und Nase. Sie trug zwar nie viel Make-up, aber das wenige brauchte ja nicht auch noch zu verwischen.
    Das kalte Wasser war erfrischend. Sie tupfte ihr Gesicht mit einem Papierhandtuch ab und machte sich auf den Rückweg, wobei sie sich wie üblich eine geistige Standpauke hielt. Vor allem musste sie sich wieder Nicks Gunst zurückerobern und deshalb besonders

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