Geräusch einer Schnecke beim Essen
unter die Erde, weil es im Terrarium in jener Woche etwas zu feucht war. Die Eier unter diesen Bedingungen zu vergraben, hätte dazu führen können, dass sie infolge von Osmose platzten.
Im Embryonalzustand absorbiert die sich entwickelnde Schnecke einen Teil des Kalks aus der Eischale. Nach dem Schlüpfen frisst sie den Rest der Schale auf, und wenn die Nahrung knapp ist, verspeist sie durchaus auch mal das eine oder andere Ei, das sonst zu einem Geschwisterchen geworden wäre.
17 . Untröstlich
Die Schnecke, sie ist
Verschwunden! Wo mag sie wohl
Sein? Niemand weiß es.
Yosa Buson ( 1716 – 1783 )
Eines Morgens hielt ich nach der Schnecke Ausschau, die wie üblich schwer zu finden war. Ich suchte sie unter dem Farn, im Moos, hinter den flechtenbewachsenen Aststücken. Sie war nicht bei dem Haufen zerdrückter Eierschalen, um ihren Kalziumbedarf zu decken. Sie war nicht bei dem Bäumchen und auch nicht bei dem Champignon. Saß weder oben an der Glaswand des Terrariums noch unten bei der Muschel. Sie war nicht bei ihrem mittlerweile einige Wochen alten kleinen Gelege. Sie war in keinem ihrer vielen Verstecke. Sie war verschwunden.
Das Terrarium war nach oben hin offen. Da es ein atmendes Lebewesen beherbergte, war mir eine gute Belüftung wichtig erschienen. Meines Wissens hatte die Schnecke das Terrarium noch nie verlassen. Und als sie noch im Veilchentopf geschlafen hatte, war sie auch von ihren ausgedehntesten Ausflügen immer wieder zurückgekehrt.
Doch jetzt war sie unerklärlicherweise verschwunden. Vielleicht hatte es sie nach Ablage ihrer Eier schließlich und endlich doch wieder in ihren Wald gezogen. Wahrscheinlich hatte sie genauso großes Heimweh wie ich. Doch ich konnte mir überhaupt nicht mehr vorstellen, wie ich ohne sie leben sollte. Tagsüber hatte mich der Anblick ihrer winzigen schlafenden Gestalt getröstet, und nachts hatten mich ihre Streifzüge unterhalten.
Ich überlegte mir, dass ich ihre Schleimspur suchen und ihr folgen könnte, doch auf dem trockenen Holz der Kiste waren keine Spuren zu sehen, und ich war zu schwach, um nach anderen Hinweisen zu suchen. In der Hoffnung, sie damit anzulocken, ließ ich vom Bett aus ein paar Pilzstückchen auf den Boden fallen. Es gab zahllose Stellen in meinem Zimmer, an denen sie hätte sein können – sie konnte überall sein –, und ich befürchtete, dass jemand auf sie treten könnte. Ich hatte einen Horror davor, es plötzlich furchtbar knirschen und krachen zu hören.
Die Stunden verstrichen, die Lage schien immer aussichtsloser, und mir wurde klar, dass ich fast mehr an der Schnecke hing als an meinem eigenen fragilen Leben.
Ab einem gewissen Grad geht Krankheit mit quälender Isolation einher; die einzige Regel, die es im Leben noch gibt, ist die Ungewissheit und die einzige Bewegung das Verstreichen der Zeit. Man erträgt es nicht, noch eine weitere Körperfunktion zu verlieren, und Freunde und Verwandte ertragen es manchmal nicht, das mitzuerleben. Unter Umständen wird eine insgeheim bestehende, unüberbrückbare Kluft noch tiefer. Auch wenn man immer noch ist, wer man war, kann man nicht wirklich sein, wer man ist. Manchmal ziehen sich die Menschen, die man gut kennt, zurück, und dann beginnt sich sogar die Person, als die man sich selbst kennt, zu verändern.
Es gab Zeiten, da wünschte ich mir, mein viraler Angreifer hätte meinem Leben ein Ende gesetzt. Wie viel besser war es doch, aus dem Vollen zu schöpfen und dann so abzutreten, wie man eine Party verlässt – einfach eine Tür aufzumachen und zu gehen. Statt dessen hatte mich der Virus an den äußersten Rand des Lebens gedrängt, und dort saß ich nun in seinem bösartigen Schatten fest, mit Symptomen, die am einen Tag gerade noch auszuhalten waren, nur um am nächsten jedes erträgliche Maß zu überschreiten, und der Unbill überraschender Rückfälle, die Jahre der allmählichen Genesung über Nacht ungeschehen machten.
In einem Artikel im New Yorker vom März 2009 schrieb Atul Gawande: «Alle Menschen empfinden Isolation als Folter.» Krankheit isoliert; wer isoliert ist, wird unsichtbar, und wer unsichtbar ist, wird vergessen. Aber die Schnecke… die Schnecke verhinderte, dass mein Lebensmut schwand. Wir zwei bildeten eine ganz eigene Gemeinschaft, und das nahm der Isolation die Schärfe. Doch die Schnecke war verschwunden, und als der Tag sich neigte, war ich untröstlich.
18 . Nachkommenschaft
Die Schnecke legt dreißig bis fünfzig Eier
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