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Geräusch einer Schnecke beim Essen

Geräusch einer Schnecke beim Essen

Titel: Geräusch einer Schnecke beim Essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Tova Bailey
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der plötzlich Witterung aufgenommen hat.
     
    Ich beschloss, in die Forscherfußstapfen des Mr. Knoppert zu treten. Er hatte sich bei Charles Darwin über das Liebesleben der Schnecken kundig gemacht, und ich würde es ihm gleichtun. Meine Nachforschungen brachten zutage, dass er sich wohl im Buch geirrt hatte, denn ich fand den betreffenden Satz nicht in der Entstehung der Arten , sondern im neunten Kapitel der Abstammung des Menschen , in dem Abschnitt über Mollusken. Es war ein Zitat des schweizerisch-amerikanischen Zoologen Louis Agassiz, eines Kollegen Darwins. Offenbar zu explizit für viktorianische Sensibilitäten, waren Agassiz’ Worte auf Französisch stehen geblieben. Dieser Satz enthielt zwar das Wort sensualité nicht, machte mich jedoch ebenso neugierig wie Mr. Knoppert, also schickte ich ihn Freunden, die des Französischen mächtig sind, und erhielt folgende Übersetzung von ihnen: «Wer je Gelegenheit hatte, das Liebesspiel der Schnecken zu beobachten, wird den verführerischen Charakter des Gebarens, mit dem diese Zwitter ihre gegenseitige Umarmung anbahnen und vollführen, nicht in Zweifel ziehen.»
    Die viktorianischen Naturforscher ließen es sich nicht nehmen, das Liebesleben der Schnecken zu kommentieren. «Tatsächlich ist die Schnecke ein vorbildlicher Liebhaber. Sie verbringt Stunden damit… den Gegenstand ihrer Zuneigung mit den vielfältigsten Aufmerksamkeiten zu bedenken», meinte der Autor von Schnecken und ihre Gehäuse . Der Naturforscher Lorenz Oken wurde deutlicher: «Die Leche sind wollüstige Thiere. Das Absondern von Schleim deutet darauf hin, die ungeheuren Geschlechtstheile, die Zwitterschaft, vermöge der sie weibliche und männliche Wollust zugleich oder abwechselnd genießen. Auch ihre Nahrung scheint nach Lust gewählt zu sein.»
    William Kirby schließlich beschrieb etwas, das denn doch wenig plausibel klang: «Das Liebeswerben [der Schnecken] ist einzigartig, denn in ihm verwircklicht sich die heidnische Sage von Amors Liebespfeilen: dergestalt, dass vor der Vereinigung jede der Schnecken einen gefiederten Pfeil nach der anderen wirft.» In Gerald Durrells Autobiographie Vögel, Viecher und Verwandte las ich mehr über diese merkwürdigen Pfeile. Als Zehnjähriger kam Durrell, der damals mit seiner Familie auf Korfu lebte, einmal kurz nach einem Gewitterregen in einen Wald: «Auf einem Myrtenzweig glitten zwei dicke, honig- und bernsteinfarbene Schnecken, einladend ihre Fühlhörner schwenkend, geschmeidig aufeinander zu.» Durrell ist fasziniert:
     
    Während ich den beiden Schnecken zusah, waren sie sich bereits so nahe gekommen, daß ihre Fühlhörner sich berührten; regungslos sahen sie einander lange und ernst in die Augen. Darauf setzte die eine sich wieder in Bewegung und glitt neben die andere. Und nun geschah etwas, daß ich dachte, ich sähe nicht recht. Aus der linken Seite der einen Schnecke, und fast gleichzeitig aus der rechten Seite der anderen, schoß, an einer dünnen, weißen Schnur, etwas heraus, das einem winzigen, zierlichen, weißen Dolch glich. Der Dolch von Schnecke A bohrte sich in den Leib von Schnecke B und war nicht mehr zu sehen, während der Dolch von Schnecke B das gleiche bei Schnecke A tat… Ich sah so angestrengt hin, daß meine Nase es fast berührte…, bis sie beide schließlich eng aneinandergepreßt dasaßen. Ich wußte, daß sie sich nun paarten, doch waren sie mittlerweile so sehr miteinander verschmolzen, daß der Vorgang als solcher mir entging. Verzückt verharrten sie etwa fünfzehn Minuten in dieser Stellung und glitten dann, ohne ein Dankeschön oder sich auch nur zuzunicken, in entgegengesetzter Richtung davon.
     
    Die «Liebesdolche», die Durrell beschreibt, sind winzige, kunstvoll gestaltete Pfeile aus Kalk, die aussehen, als wären sie von einem erstklassigen Handwerker gefertigt. Sie werden über die Dauer einer Woche im Körper der Schnecke gebildet, und ihre Länge kann bis zu einem Drittel des Schalendurchmessers betragen. Der Schaft eines solchen Pfeils ist rund und hohl und kann je nach Schneckenart bis zu vier flossenartige «Federn» haben; das eine Ende ist scharf wie eine Harpune, das andere ist zu einer Krone verbreitert, mit der es im sogenannten Pfeilsack auf einer Papille sitzt.
    Manche Spezies produzieren für jede Paarung einen neuen Pfeil, andere ziehen den verwendeten Pfeil wieder heraus und setzen ihn bei weiteren Paarungen erneut ein. Es gibt Schneckenarten, die immer nur einen Pfeil vorrätig

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