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Geräusch einer Schnecke beim Essen

Geräusch einer Schnecke beim Essen

Titel: Geräusch einer Schnecke beim Essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Tova Bailey
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Schnecke mit ihrem minimalen Sehvermögen immer wieder solche perfekten Verstecke fand.
    In dem von Tony Cook verfassten Kapitel Verhaltensökologie in The Biology of Terrestrial Mollusks [Die Biologie von Landmollusken] stieß ich auf folgenden Satz, der das Leben der Schnecken wohl am besten auf den Punkt bringt: «Das Richtige tun heißt, gar nichts zu tun, der richtige Ort dafür ist ein Versteck, und der richtige Zeitpunkt dafür ist so oft wie möglich.»
     
    Das Leben der Schnecken hat etwas Hermetisches, und es war genau diese Aura von Geheimnis gewesen, die anfangs mein Interesse geweckt hatte. Mein eigenes Leben, so erkannte ich, nahm langsam ähnlich hermetische Züge an. Seit dem Ausbruch meiner Krankheit und über zahllose Rückfälle hinweg war mein Platz in der Welt eher durch meine Abwesenheit als durch meine Anwesenheit definiert. Meine engen Freunde wussten, wie es um mich bestellt war, doch für diejenigen, die mich nicht so gut kannten, war mein Verschwinden aus der Arbeitswelt und anderen sozialen Zusammenhängen unerklärlich.
    Dabei war ich keineswegs verschwunden, ich war eben nur ans Haus gefesselt, wie eine Schnecke, die sich in ihre Schale zurückgezogen hat. Doch ans Haus gefesselt zu sein, kommt in der Menschenwelt einem Verschwinden gleich. Wenn ich heute Bekannten von früher begegne, sehe ich manchmal, wie sich Erstaunen auf ihrem Gesicht malt, so als wähnten sie sich meinem Geist gegenüber, denn man rechnet nicht mehr mit meiner Rückkehr. Und manchmal frage ich mich, ob ich nicht tatsächlich zu einem Geist geworden bin.

16 . Schneckenaffären
     
    Was Liebe und Zuneigung angeht, scheint das
Gefühlsleben der Schnecken hoch entwickelt zu sein,
und in ihrem Liebeswerben zeigen sie sehr deutlich,
welche Zärtlichkeit sie füreinander empfinden.
    James Weir, The Dawn of Reason
     
    Eines Morgens blickte ich in das Terrarium und entdeckte zu meiner Überraschung ein Gelege von acht winzigen Eiern. Sie lagen auf der Erde, unter dem Ende des Birkenstamms, und erinnerten von Form und Farbe her an Perltapioka. Ich fragte mich, ob sie wohl befruchtet waren und ob ihnen irgendwann Junge entschlüpfen würden. Gespannt beobachtete ich, wie meine Schnecke alle paar Tage zu den Eiern zurückkehrte und sich um sie kümmerte. Mehrmals sah ich, wie sie jedes Ei einzeln eine Weile im Maul hielt, wohl um es «einzuschleimen» – so meine Vermutung –, damit es die nötige Feuchtigkeit behielt.
    Waldschnecken sind Zwitter. Bei den Säugetieren selten anzutreffen, ist diese Eigenschaft in der restlichen Tier- und auch Pflanzenwelt durchaus verbreitet. Schnecken finden sich entweder zufällig zur Paarung zusammen, oder sie folgen gewissen Vorlieben hinsichtlich Alter oder Größe. Sie paaren sich im späten Frühling oder Frühsommer oder aber im Herbst, und zwar nach einem aufwendigen, komplizierten Liebesspiel. Eine Landschnecke, die über längere Zeit allein war, kann sich praktischerweise selbst befruchten, auf diese Weise eine neue Kolonie ins Leben rufen und den Erhalt ihres Erbgutes sichern.
    Zufällig hatte ich im Jahr zuvor den Film Mikrokosmos der französischen Wissenschaftler Claude Nurisdany und Marie Pérennou gesehen, in dem eine sehr sinnliche Szene das Liebeswerben zweier Weinbergschnecken auf einer Wiese in Frankreich zeigt. Bruno Coulais’ eigens für diesen Film komponiertes Stück L’amour des escargots bildet den opernhaften Hintergrund für die sichtlich genüssliche, lustvolle und ausdauernde schleimige Umarmung der beiden Schnecken.
    In Patrica Highsmiths Kurzgeschichte Der Schneckenforscher beobachtet die Hauptfigur zwei sich liebende Schnecken und ist bezaubert:
     
    Eines Abends war Mr. Knoppert in die Küche geschlendert, um vor dem Abendessen noch eine Kleinigkeit zu essen, und hatte bemerkt, daß sich zwei der Weinbergschnecken in der Porzellanschüssel, die auf der Spüle stand, sehr eigenartig verhielten. Sie standen einander gegenüber, aufgerichtet und mehr oder weniger auf ihren Schwänzen… Im nächsten Augenblick legten sie ihre Gesichter zu einem Kuß von wollüstiger Intensität aneinander.
     
    Von diesem Erlebnis fasziniert, beginnt Mr. Knoppert alles zu lesen, was er über Schnecken finden kann.
     
    [Er stieß] in einem Abschnitt über Gastropoden in Darwins Ursprung der Arten auf einen bestimmten Satz… Der Satz war auf französisch, eine Sprache, die Mr. Knoppert nicht beherrschte, doch bei dem Wort sensualité durchfuhr es ihn wie einen Bluthund,

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