Gérards Heirat
hohen Beamten Juvignys auf gleichem Fuße zu verkehren. Seine musikalische Begabung hatte ihm schon in einigen Familien Zutritt verschafft, allein andere Häuser, und zwar die besten, blieben ihm beharrlich verschlossen. Durch die Ankunft der Familie Laheyrard war sein Ehrgeiz mächtig angespornt worden. Geblendet von Helenens Schönheit, berauscht von ihrer anmutigen Vertraulichkeit und ihrem herzlichen Wesen, ging er seither wie im Traum umher und dachte an nichts mehr, als wie er Fräulein Laheyrards Gatte werden könne.
»Warum nicht?« sagte er an diesem Abend zu sich selbst, während er dem Ticktack der in der Vorstadt zerstreuten Webstühle lauschte. »Helene ist arm und wird nicht so leicht Gelegenheit finden, zu heiraten; ich bin an Geist und Willenskraftden anderen jungen Leuten hier überlegen. Mit einer Frau wie sie fühle ich die Kraft in mir, ganz Juvigny auf den Kopf zu stellen und über all diese Menschen wegzusteigen, um mein Ziel zu erreichen. Ich könnte mich zum Gemeinderat ernennen lassen, den Bürgermeister, der eine Null ist, verdrängen und, wer weiß? in dieser Zeit des allgemeinen Stimmrechts es am Ende noch bis zum Abgeordneten bringen ...«
Das leise Tropfen frischbegossener Blumen und das Glucksen einer Wasserflasche auf dem Gesimse des benachbarten Fensters rief ihn in die Wirklichkeit zurück und veranlaßte ihn, sich rasch zurückzuziehen. Im selben Augenblick fing die Stimme eines jungen Mädchens an zu trillern, ein Kopf beugte sich vor und beim Scheine des aufgehenden Mondes zeigte sich das schlaue Gesicht der kleinen Regina zwischen zwei Balsaminentöpfen, »Sind Sie heimgekommen, Frank?« fragte die Nähterin.
Regina Lecomte war die Nichte des Webers im Erdgeschoß; sie hatte schon als ganz kleines Kind mit Finoël gespielt und die beiden hatten sich lange Zeit geduzt. Auch sie hegte seit drei oder vier Jahren einen Traum: sie wollte eine Dame werden und einen Hut tragen. Um dies zu erreichen, genügte es, Frank zu heiraten, und die ehrgeizige Arbeiterin fragte auch ihrerseits: »Warum denn nicht?«
Als der junge Mann sich ruhig verhielt, wiederholte sie ihre Frage.
»Ja,« erwiderte Frank, der sich über die Störung ärgerte, trocken, »ich bin eben heimgekommen und gehe jetzt zu Bett.«
»Sie sind sehr stolz geworden, seit Sie die schönen Damen in der oberen Stadt so oft besuchen! Diese Pariserinnen werden Ihnen den Kopf verdrehen, mein armer Frank.«
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Damen in Ruhe lassen wollten,« sagte Finoël übellaunig; »gute Nacht!«
»Nur Geduld,« brummte Regina, die das letzte Worthaben wollte. »Wer auf die Weide geht, kommt geschoren zurück, und du wirst ganz kahl geschoren werden, mein schönes, blökendes Lamm.«
Finoël warf heftig das Fenster zu und ging wütend zu Bette.
Fünftes Kapitel.
Von seiner ersten Begegnung mit Frau Grandfief befriedigt, hatte sich Herr von Seigneulles entschlossen, die wichtige Angelegenheit, die Heirat Gérards, rasch zum Abschluß zu bringen. Auf seine Bitte hatten der Abbé Volland und Frau von Travanette bei Grandfiefs auf den Busch geklopft, und da ihr Vorgehen günstig aufgenommen worden war, hatte Herr von Seigneulles seinen Notar beauftragt, den geschäftlichen Teil der Sache ins reine zu bringen. Als kluger Mann war er der Ansicht, man müsse Geldverhältnisse und Liebesangelegenheiten getrennt behandeln.
Als das beiderseitige Beibringen genau festgestellt war, setzte sich Herr von Seigneulles mit Herrn und Frau Grandfief selbst in Verbindung, und man kam überein, daß Gérard sich nun regelrecht um das junge Mädchen bewerben dürfe.
Der alte Edelmann wünschte, daß sein Sohn ihr als liebenswürdiger Mann annehmbar scheine und nicht als Gatte aufgezwungen werde. Die Heirat sollte erst vollzogen werden, wenn die beiden jungen Leute unter sich einig geworden wären, und Frau Grandfief ging auf diese Bedingung ein, obgleich sie ihr lächerlich romantisch vorkam, weil sie des Gehorsams ihrer Tochter und der unwiderstehlichen Anziehungskraft von Georginens Schönheit sicher war.
Gérard verbrachte nun in der Woche zwei Nachmittage in Salvanches, in dem Hause der Grandfiefs, das am äußersten Ende des Spazierganges »unter den Weiden« inmitten einesgroßen Parkes lag, den der Ornain mit seinen rauschenden, fischreichen Fluten bespülte. Der junge Mann begab sich, bald von seinem Vater begleitet, bald vom Abbé oder Frau von Travanette beschützt, dorthin. Diese feierlichen
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