Gérards Heirat
junge Dame wie Georgine Grandfief! ... Sie kennen sie, glaube ich? ... Wenn ihre Mutter sie, so wie Sie mich, auf einem Pflaumenbaum überraschte, welche Predigt würde das geben! Ich höre sie schon sagen: ›Pfui doch, Fräulein!‹«
Sie rollte ihre Augen, kniff die Lippen zusammen und ahmte den gezierten Ton der Dame so komisch nach, daß Gérard in ein lautes Gelächter ausbrach. »Sie haben ein hübsches Nachahmungstalent,« sagte er.
»Ich habe eine ganze Menge solch hübscher Talente, wegen deren ich für ein sehr schlecht erzogenes Mädchen gelte ... Manchmal versuche ich meine mutwilligen Einfälle in einen Käfig zu stecken, aber ich vergesse meistens die Thüre zu schließen und sofort fliegen die nichtsnutzigen Vögel wieder aus. Im Gegensatz zu vielen anderen Leuten taugt bei mir die erste Regung nie etwas, dagegen kann ich Sie versichern, daß die zweite immer sehr gut ist.«
»Davon bin ich überzeugt,« sagte Gérard entzückt. – Auf den Gartenzaun gelehnt, betrachtete er Helene mit wahrer Begeisterung.
Die eine Hand des jungen Mädchens bewegte sich zwischen den Blättern hin und her, wo sie nach Reineclauden suchte, zwischen deren rosiger, schon geplatzter Haut das saftige, goldene Fleisch durchschimmerte. Sie verzehrte dieselben mit köstlichem Behagen und fuhr, wie eine Katze, ab und zu mit der Zungenspitze über die feuchten Lippen, oder biß ohne Umstände in ihre Brotkruste. Ihre kleinen Zähnchen blitzten in der Sonne, die ab und zu auch die frischen Umrisse des weißen Armes beleuchtete.
Der geblendete Gérard fühlte sich wie verwandelt und entdeckte Empfindungen in sich, die er nie geahnt hatte. Diese plötzlichen Gemütsbewegungen stiegen ihm zu Kopf wie neuer Wein, und er war versucht, dem jungen Mädchen zuzurufen: »Es ist um mich geschehen! Du bist anbetungswürdig schön! ...« Seine Augen wenigstens sagten es ihr, während sich die Lippen bewegten ohne zu sprechen; sie fanden oder wagten nichts zu sagen; endlich öffneten sie sich. »Ja,« wiederholte er, »ich glaube, daß Sie ebenso gut als schön sind, gut, wie alles, was frisch und frei ist, gut und schön wie die Sonne und die Blumen!«
»Nur keine Komplimente,« entgegnete sie in entschiedenem Ton, »außerdem hinkt Ihr Vergleich! Die Sonne ist durchaus nicht immer gut; heute abend zum Beispiel verbrennt sie mir Arme und Schultern so, daß ich sie auf dem nächsten Ball bei Frau Grandfief kaum werde zeigen können ... Sie wissen doch, daß in Salvanches getanzt werden soll? ... Sie tanzen gerne, glaube ich?« setzte sie hinzu und warf ihm einen schelmischen Blick zu.
Bei dieser Anspielung auf den »Weidenball« wurde Gérard rot und stammelte einige unverständliche Worte.
»Ich,« fuhr Helene fort, »würde fünf Meilen zu Fuß und im Regen zurücklegen, um eine Quadrille zu tanzen. Es ist mir auch nichts schrecklicher, als sitzen zu bleiben; ich habe mir Mühe gegeben, mich heute abend von meiner wenigst unvorteilhaften Seite zu zeigen, damit Sie sich Dienstag nichtschämen, mit mir zu tanzen.« Sie wurde durch eine hellklingende Stimme unterbrochen, die rief:
»Werde nicht ungeduldig, Helene, ich bringe die Leiter, um dich aus der Gefangenschaft zu befreien!«
Marius Laheyrard kam hinter einem Haselnußstrauch hervor und zog die von den Kindern entführte Leiter herbei; in demselben Augenblick bemerkte er Gérard.
»Beim Zeus!« rief er, »das ist mein Tänzer mit den schwarzen Handschuhen! Du kennst also Herrn von Seigneulles, Duckmäuserin?«
Gérard erklärte ihm die Zufälligkeit dieser Begegnung, während Helene die obersten Sprossen der Leiter betrat. Sie raffte ihre Kleider zusammen, sprang auf den Rasen und hing sich an den Arm ihres Bruders. Der junge Seigneulles wollte sich von ihr verabschieden, doch Marius hielt ihn am Arm zurück.
»Nein,« rief er gebieterisch, »Sie haben unser Gebiet betreten, und wir halten Sie fest ... Es gibt heute einen anständigen Braten und Sie müssen mit uns essen!«
Gérard wollte ablehnen, aber Helene wandte sich zu ihm und wiederholte die Einladung in heiterem Tone, und er ließ sich mit in die Wohnung des Schulrats führen, wo ihn Marius seiner Mutter vorstellte. Frau Laheyrard schien sehr stolz auf den neuen Freund ihres Sohnes zu sein, und der ehemalige Professor empfing ihn zwar ernst, aber so wohlwollend, daß er sich gleich ganz behaglich fühlte. Das Essen konnte sich diesmal sehen lassen; die Kinder waren artig, das Tischtuch weiß und der Braten
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