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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Theuriet
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Zusammenkünfte verliefen immer sehr trübselig. Georgine befolgte gewissenhaft die Vorschriften ihrer Mama und saß steif und hochnäsig, mit sittsam niedergeschlagenen Augen auf ihrem Stuhl und beteiligte sich nur mit weiser Zurückhaltung an dem Gespräch. Wenn Gérard sie anredete, schlug sie langsam die von langen Wimpern eingefaßten Lider auf und sah zuerst Frau Grandfief an, als ob sie die Antwort in den Augen ihrer Mutter lesen müsse. Wenn sie sich zu sprechen entschloß, klang es gerade, als ob sie etwas auswendig Gelerntes hersage. Sie war hübsch, und obgleich ihre großen schwarzen Äugen mehr Feuer als Tiefe hatten, so verliehen ihr doch das Stumpfnäschen, die frischen Wangen und der kleine Mund einen gewissen anmutigen Reiz; sie hatte aber einen beschränkten und wenig entwickelten Verstand, und ihr oberflächliches Geschwätz über Putz und anderen Kram war nicht geeignet, Gérard anzufeuern.
    Der junge Mann war eine jener zurückhaltenden Naturen, die sich nur da voll erschließen, wo ihnen Anregung und Teilnahme entgegengebracht wird. Er blieb auch schweigsam und kühl, und ließ den Abbé oder Frau von Travanette die Kosten der Unterhaltung allein bestreiten. Diese regelmäßigen Besuche in Salvanches waren ein schwerer Frondienst für ihn; er kam stets schläfrig, müde und traurig zurück.
    An einem Augustabend ging er nach einem solchen Aufenthalt bei den Grandfiefs ganz mißgestimmt nach Hause. Er hatte den Weg durch die Weinberge eingeschlagen und stieg eben den Fußpfad zwischen seines Vaters und des Nachbarn Besitzung hinan, als ihn fröhliches Geschrei und Gelächter veranlaßte, sich umzusehen. Er bemerkte zwei Kinder, die eine Leiter fortzogen und bei seiner Annäherung hinter dem dichten Gebüsch der Terrasse verschwanden.
    »Toni! Benjamin! wollt ihr wohl die Leiter wieder bringen?« rief eine silberhelle Stimme, die aus der Luft zu kommen schien. – Triumphierendes Gelächter war die einzige Antwort auf diesen Ruf. »Abscheuliche Schlingel!« fuhr die geheimnisvolle Stimme fort.
    In dem Obstgarten des Nachbarhauses bewegten sich plötzlich die Blätter eines kräftigen Baumes und Gérard entdeckte Fräulein Helene Laheyrard, die zwischen zwei Hauptästen desselben saß und in der einen Hand ein großes Stück Brot, hielt, während sie mit der anderen Reineclauden pflückte. Sie sah reizend aus mit dem bloßen Kopf, den frei herabfließenden Haaren, den großen, glänzenden Augen und dem leichten, rosigen Schimmer, der auf den belebten Zügen lag. Die im Laubwerk zerstreuten Sonnenstrahlen huschten ihr flüchtig über Hals und Antlitz; ein leichter Wind, der den Saum ihres Kleides bewegte, ließ zwei winzige Stiefelchen und manchmal sogar die feinen Knöchel sehen. Als sie Gérard bemerkte, faßte Helene mit einer anmutigen, mädchenhaften und doch koketten Bewegung die weiten Falten ihres Leinwandkleides über ihrem Fuß zusammen; dann begegneten ihre Augen denen Gérards, und sie konnte das Lachen nicht mehr unterdrücken.
    »Erlauben Sie, daß ich Ihnen eine Leiter hole, Fräulein,« sagte Gérard, sie begrüßend.
    »Machen Sie sich keine Mühe, Herr von Seigneulles,« antwortete sie, »die Kinder werden von selbst wiederkommen, sobald sie merken, daß ihr Schabernack keinen Eindruck auf, mich macht.«
    Gérard fand sie wunderbar schön in dieser Umrahmung von grünen Blättern. Die erste Wirkung dieser glänzenden Offenbarung der weiblichen Schönheit bestand darin, daß sie seine Zurückhaltung und Schüchternheit aus dem Felde schlug.
    »Erlauben Sie wenigstens, daß ich Ihnen Gesellschaft, leiste, bis Toni die Leiter wiederbringt.«
    Er fürchtete, sein Gesuch könne schlecht aufgenommen werden, aber Helene schien es ganz natürlich zu finden.
    »Gerne,« sagte sie. »Da wir übrigens Nachbarn sind, möchte ich mich in ein besseres Licht bei Ihnen setzen. Es ist nun schon das zweite Mal, daß ich Anstoß bei Ihnen errege, und doch wäre es mit der Johannisbeertraube schon mehr als genug gewesen.«
    Der junge Mann wollte widersprechen.
    »Sehen Sie,« unterbrach sie ihn ungezwungen, »Sie müssen mich nicht nach meinen Unbesonnenheiten beurteilen, und wenn mein Bruder Marius hier wäre, so würde er Ihnen sagen, daß ich ein ganz verständiges junges Mädchen bin, wenn auch ein wenig geschuckt .«
    Bei diesem letzten Worte machte Gérard große Augen.
    »Ich wollte sagen ein bißchen närrisch,« erklärte sie lachend. »Ach! ich bin eben leider keine so wohlerzogene, kluge

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