Gérards Heirat
einer scharfsinnigen Abfindung mit seinem Gewissen betrachtete er diese seinem Vater verheimlichten Besuche als eine Entschädigung für die Langeweile, die er in Salvanches ausstehen mußte. Er betrachtete sich nicht als mit Georginen verlobt; er ging zu Grandfiefs, um Herrn von Seigneulles nicht ungehorsam zu sein, allein wenn er dieser lästigen Pflicht nachgekommen war, hielt er sich durch einen Ausflug zu Laheyrards schadlos, wo er mit jenem Entgegenkommen empfangen wurde, das den Parisern eigen ist, die an rasch angeknüpfte Bekanntschaften gewöhnt sind. Frau Laheyrard machte ihm Vorwürfe, daß er nicht öfter komme, und Helene behandelte ihn wie einen Freund.
Sie fühlte sich zu diesem schüchternen und doch schwärmerischen, trotz seiner Zurückhaltung manchmal gesprächigen jungen Mann wunderbar hingezogen; er war sehr unterrichtet und doch kindlich, und die Erziehung, die er in der Provinz erhalten hatte, verlieh ihm die Frische und Anmut einer Waldblume. Nach und nach wurde sie vertrauter mit ihm, zeigte ihm ihre Zeichnungen, musizierte mit ihm und erzählte ihm von Paris, das er noch nie gesehen hatte. Helenens geistvolle, abwechslungsreiche, mit der in den Ateliers gelernten Kunstsprache durchwirkte Unterhaltung eröffnete Gérard bisher ungekannte, reizvolle Gesichtspunkte. Er kam sich erzdumm vor neben ihr und doch war er nirgends gesprächiger und fühlte sich nirgends behaglicher als bei ihr. Das junge Mädchen flößteihm eine Sicherheit und ein Selbstvertrauen ein, dessen er sich nie für fähig gehalten hätte. Es war zwischen ihnen auch nie ein Wort von Liebe gefallen, ja selbst keine Spur jener leichten Galanterie, die sich jetzt fast in jedem geselligen Gespräch fühlbar macht, war vorhanden; nur traten manchmal beunruhigende Pausen in der Unterhaltung ein, nur wurde die Berührung zweier Hände, die dasselbe Notenblatt umwenden wollten, unmerklich verlängert, beim Abschied wurde eine Blume gepflückt und überreicht – es war nichts und doch war es köstlich! Das beste der Liebe liegt in jenen stummen Anfängen, und Gérard genoß mit Wonne dieses Andante der Liebessymphonie.
Einige Abende später hatte Gérard eben Helene verlassen, als Frank Finoël in das Atelier trat. Das junge Mädchen saß am Klavier und wiederholte gedankenvoll eine der Lieblingsmelodien Gérards. Man hätte glauben können, daß etwas in der Atmosphäre die kürzliche Anwesenheit des jungen Mannes verraten habe, denn Frank lenkte die Unterhaltung sofort auf Herrn von Seigneulles.
»Er ist eben fortgegangen,« sagte Helene.
»So,« entgegnete Finoël, »Sie sehen ihn also jetzt?«
Dann fuhr er mit boshafter Absichtlichkeit fort:
»Man spricht in der Stadt viel von seiner bevorstehenden Vermählung mit Georgine Grandfief.«
Helene erbleichte. Diese unerwartete Nachricht verursachte ihr eine peinliche Empfindung. Sie hatte sich gut sagen, sie habe kein Recht auf Gérards Herz, sie empfand doch einen bitteren Schmerz, und wußte Finoël wenig Dank für diese unangenehme Mitteilung.
»So!« sagte sie mit scheinbarer Ruhe, »das wundert mich nicht; Herr von Seigneulles hat das Alter zum Heiraten, und Georgine ist eine gute Partie. Ueber den Grandfiefs fällt mir ein – wissen Sie, daß sie einen Ball geben?«
»Wann?« fragte Finoël ängstlich.
»Nächsten Dienstag ... Die Einladungen sind ausgegeben;Papa hat die unsere gestern erhalten, und Sie werden die Ihre ohne Zweifel zu Hause vorfinden.«
Frank fühlte sich sichtlich beunruhigt. Es war stets sein heißer Wunsch gewesen, zu Frau Grandfief eingeladen zu werden, denn bei ihr versammelte sich die auserlesenste Gesellschaft Juvigyns. Von ihr empfangen zu werden, bedeutete für den jungen Mann die Einlaßkarte zu der guten Gesellschaft. Seine Aufregung trat so offen zu Tage, daß Helene ihn beruhigen wollte.
»Ich sprach mit Georginen von Ihnen,« sagte sie, »es soll auch musiziert werden, und Sie sind ein viel zu bedeutender Musiker, als daß man Sie hätte vergessen können.«
Trotzdem war Frank nur halb beruhigt. Er konnte nicht mehr stillehalten, kürzte seinen Besuch ab und rannte nach Hause. Zitternd steckte er den Schlüssel ins Loch und zündete eine Kerze an. Sobald das flackernde Licht einigermaßen die Dunkelheit erhellte, warf der Bucklige einen raschen Blick über den ganzen Raum. Nirgends sah er die so heiß ersehnte Einladung, und sein Herz zog sich zusammen. Er begann seine Nachforschungen von neuem und untersuchte ein Möbel ums andere.
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