Gérards Heirat
»es ist ein bißchen frisch! Dies kleine Fest war wirklich reizend; Fräulein Georgine ist ein liebenswürdiges Mädchen, und der Champagner ihres Vaters ist ganz trinkbar.«
Er konnte nicht aufhören von der Schönheit Fräulein Grandfiefs zu reden. Dieser biedere Dichter, der in seinen Liedern stets nur Göttinnen mit marmorweißen Gliedern und Frauen mit wilden Augen besang, schien in der Wirklichkeit für die Vorzüge einer frischen Gesichtsfarbe und eines Stumpfnäschens sehr empfänglich zu sein.
»Schön wie ein Rubens!« rief er, als er die rundlichen Schultern und die rosigen Wangen Fräulein Georginens rühmte, »ach mein Freund, obwohl das harte Metall meines Herzens schon von allen Säuren des Lebens angegriffen ist, so fühle ich doch seit heute abend, daß es unter den Pfeilen des Eros noch erbeben kann ... Ich bin verliebt.«
»Sie auch!« rief Gérard unüberlegt.
»Ja ich; ... aber still! ich werde sie nicht nennen. Sie sollen aber wissen, daß sie schön ist wie die drei Charitinnen, und daß sie das Geständnis meiner Liebe empfangen hat.«
»Was! jetzt schon!«
»Ja ... Sie wissen doch, daß ich stets irgend eines meiner eigenartigen Sonette bei mir führe?«
»Und da haben Sie ihr eines vorgelesen?« fragte Gérard verblüfft.
»Mehr als das! Ich habe es zwischen ihre niedlichen Finger gesteckt, und, auf Ehre! sie schob es gewandt in ihren Handschuh und schlug die scheuen Taubenaugen nieder.«
Gérard konnte sich des Lachens nicht erwehren, als er sich diese unbekannte Tänzerin vorstellte, wie sie diese jedenfalls sonderbare Dichtung entzifferte. Auch der Dichter brach in ein schallendes Gelächter aus und das Echo warf noch lange die lärmende Fröhlichkeit der beiden Freunde zurück. Die Lerchen stiegen jubelnd zu dem perlfarbenen Himmel empor und in den Weinbergen begannen die Drosseln zu schlagen.
»Welch schönes Wetter!« rief Gérard aus, »wie ist der Himmel so hell und klar und wie erfüllt der Gesang derVögel das Herz mit Fröhlichkeit!« Er summte das Lieb Helenens vor sich hin.
»Im Waldgrund tönt ihr Sang
Als wie der tiefe Klang
Wenn Liebeslenz erwacht
Nach langer Winternacht.«
»Ach mein Freund,« sagte er und drückte Marius' Hand, der sich über diese mitteilsame Begeisterung des sonst so zurückhaltenden Jünglings nicht genug wundern konnte, »mein Freund, wie schön ist doch das Leben, und wie glücklich bin ich heute morgen!«
»So ist's recht! so sehe ich Sie gerne! Evoe! es lebe die Jugend!« rief Marius und schleuderte seinen Hut in die Luft und fing ihn im Fluge wieder auf, »ist es denkbar, daß es Kahlköpfe, rheumatische Spießbürger gibt, die sich zu dieser Stunde im Bette dehnen und den Morgentau schmähen! Dumme, alte Leute!«
Er hatte Gérard unter den Arm gefaßt und so schlugen sie zusammen, voll Kraft und Jugendfrische, leichten Schrittes den Weg nach der oberen Stadt ein, sangen während des Gehens Bruchstücke alter Romanzen und deklamierten Lieder. Am Fuß der Terrassen von Polval angelangt, zog Gérard einen Hausschlüssel aus der Tasche; doch Marius hielt ihn mit einer stolzen Bewegung zurück, »Pfui, mein Lieber,« sagte er, »sollen mir nun so prosaisch durch die Thüre gehen? Erinnerst du dich nicht mehr des ›Meidenballes‹, Romeo, und deiner eichhornartigen Behendigkeit? Wir wollen die Terrasse hinaufklettern.«
»Gerne!« sagte Gérard. – Er hätte in diesem Augenblick auch den Himmel erklommen, um einen Strahl der Sterne herunterzuholen. Sie kletterten wie toll die Spaliere hinan, die unter ihren Füßen krachten. Als sie die Brustwehr erreicht hatten, begrüßte sie die aufgehende Sonne mit ihrem rosigen Licht.»Und jetzt, mein Sohn,« rief Marius, »jetzt wollen wir uns küssen!«
»Wir wollen uns küssen,« wiederholte Gérard und drückte den Bruder Helenens an sein Herz.
Hoch auf der Mauer gaben sie sich vor den Augen der frühzeitig arbeitenden Weingärtner, die sie verwundert anstarrten, einen brüderlichen Kuß; dann kletterten beide über den in der Mitte befindlichen Zaun und verschwanden gleichzeitig hinter den Hecken ihrer Gärten.
Neuntes Kapitel
Wie eine intensive Kälte entsteht, wenn stark erhitzter Aether sich plötzlich verflüchtigt, so folgt auf die Aufwallungen unseres Gemütes als Gegenwirkung die ruhige und kühle Ueberlegung. Dieses Gesetz beherrscht die moralische wie die physische Welt. Auch Gérard von Seigneulles sollte diese Erfahrung an sich machen, als er am Morgen nach dem Balle in
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