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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Theuriet
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der Schulbehörde auf gutem Fuß bleiben und die Frau des Schulrates schonen wollte, bemerkte diese Umtriebe rasch und flüsterte Georginen etwas ins Ohr, worauf diese sich zu Helenen setzte.»Meine Mutter möchte gerne,« sagte Georgine, »daß ein wenig Musik gemacht würde ... Haben Sie eines der alten Lieder mitgebracht, die Sie so schön singen?«
    »Ich kann sie auswendig,« antwortete Helene, »und stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«
    Sie ging durch das Zimmer, setzte sich ans Klavier und zog mit ungeduldigen und raschen, aber anmutigen Bewegungen die Handschuhe ab; dann begann sie bei tiefster Stille zu ihrer eigenen Begleitung nach der Melodie eines alten Tanzes das Minnelied zu singen:
    Im Walde tief versteckt
Der Taube Sang dich neckt,
Wo alles grünt und blüht,
Hörst du, mein Lieb, ihr Lied?
    Im Waldgrund tönt ihr Sang,
Als wie der tiefe Klang,
Wenn Liebeslenz erwacht
Nach langer Winternacht.
    Jetzt schwebt er hoch oben,
Jetzt senkt er sich nieder,
Nun hebt er sich wieder –
So schweben die Lieder,
Ein lieblicher Traum des Waldes dahin.
    Zärtliches Sehnen,
Verschleiert in Tönen,
Bezaubert den Sinn!
    Hörst du sie schlagen,
Die Herzen, die zagen,
In fühlender Brust
    Laß von der Liebe
Still heimlichem Triebe
Uns flüstern im Grünen, in kosender Lust.
    Jetzt ist die Stunde der Liebe gekommen,
Beim Sange der Turteltauben, der frommen,
Komm und verträume am liebenden Herz
Sorgen des Lebens und bitteren Schmerz
Lieblicher blühet im Mai keine Rose,
Als wie die Liebe, die heimliche, lose!
    Helenens Stimme war so innig und hinreißend und hatte so weiche und doch durchdringende Töne, daß trotz der Voreingenommenheit der Gesellschaft gegen sie ein Beifallssturm losbrach, als sie zu Ende war.
    Nur allein die Base Provenchères flüsterte ihrer ältesten Tochter ins Ohr: »Sie mögen in die Hände klatschen, so stark sie wollen, ich finde doch diese Lieder, in denen nur von Liebe die Rede ist, höchst unschicklich für ein junges Mädchen.«
    Gérard war herbeigeeilt, um Helene zu begrüßen. Sie reichte ihm freudestrahlend die Hand. – »Wie finden Sie meinen Anzug?« sagte sie und drehte sich lustig um, damit er sie besser bewundern konnte. »Gefalle ich Ihnen?«
    »Sie sind wunderschön,« antwortete Gérard entzückt, »diese Brombeerenranke scheint eben im Walde gepflückt worden zu sein ... Sie verleiht Ihnen einen ganz unbeschreiblichen frischen Reiz, und neben Ihnen sehen die anderen Tänzerinnen aus wie Treibhauspflanzen.«
    »Reden Sie aufrichtig?«
    »Oh, vom Grund meiner Seele!«
    Diese aufrichtige Bewunderung spiegelte sich in den Blicken des jungen Mannes so deutlich wider, daß Helene kaum an ihr zweifeln konnte. Sie war entzückt davon, um so mehr, als Gérard, ehe er sie verließ, sie noch zur ersten Mazurka aufforderte.
    »Sie kennen also Herrn von Seigneulles?« fragte Georgine, die herbeigekommen war.«
    »Gewiß, wir sind Nachbarn, und Herr Gérard ist ein Freund meines Bruders.«
    »Wirklich!« sagte Fräulein Georgine, »davon hat er mir nichts gesagt ... Nun, meine Liebe,« fuhr sie fort und zog Helene beiseite, »ich will Ihnen ein Geheimnis anvertrauen.«
    »Ein Geheimnis?«
    »Ja, und dafür sollen Sie mir einen Gefallen thun!. Es ist nämlich die Rede davon, mich mit Herrn von Seigneulles zu verheiraten. Wissen Sie?«
    Helene machte eine Kopfbewegung und blieb stumm. Ihre ganze Freude war plötzlich dahin und eiskalt legte es sich ihr aufs Herz. Und doch waren ihr diese Heiratsgerüchte nicht neu; allein, ohne sich zu fragen, warum, hatte sie bisher geglaubt, sie seien aus der Luft gegriffen. Die Worte Georginens enthüllten ihr nun die nackte Wirklichkeit.
    »Man will uns also verheiraten,« fuhr diese fort, »meine Mutter meint, es sei alles in Ordnung, weil sie mit dem Baron einig ist, aber ich bin nicht ihrer Ansicht; ich finde, daß mein Zukünftiger recht kalt ist und möchte wissen, was er im Grunde seines Herzens denkt ... Denn,« sagte Georgine, sich in die Brust werfend, »ich bin nicht in Verlegenheit, wo ich meine Person lassen soll, und es ist schon der Mühe wert, mich um meiner selbst willen zu lieben!«
    Helene war sehr blaß geworden und biß verlegen in ihren Fächer; aber Georgine war so mit sich selbst beschäftigt, daß sie es nicht beachtete, sondern fortfuhr: »Sie werden gewiß mit ihm tanzen, versuchen Sie doch, die Unterhaltung auf mich zu lenken und horchen Sie Herrn Gérard ein wenig aus. Sie allein können mir diesen Dienst erweisen, in erster

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