Gérards Heirat
Salvanches in seinem Zimmer voll strahlenden Sonnenscheines aus einem unruhigen Schlummer erwachte. Die Erregung vom gestrigen Abend verflüchtigte sich wie leichter Dunst, und machte die kalte Vernunft frei. Er liebte Helene und hatte es ihr gesagt; allein er war gleichzeitig in den Augen seines Vaters und der Familie Grandfief der Verlobte Georginens. Es wäre nicht ehrenhaft gewesen, diese doppelte Rolle weiter zu spielen. Seine Ehre und seine Liebe forderten gleich gebieterisch eine möglichst baldige Klärung dieser Verhältnisse: andererseits aber dachte er nicht ohne Schrecken an die Wege, die er einschlagen mußte, um aus seiner zweideutigen Stellung herauszukommen, und an den Zornausbruch, mit dem Herr von Seigneulles eine solche Entwickelung aufnehmen würde. Indessen, es mußte etwas geschehen. Gerard sehnte sich nach Helenen, aber er wolltenicht wieder vor sie treten, ehe er mit den Grandfiefs ganz abgebrochen hatte. Er beschloß gleich am nächsten Tage nach Salvanches zu gehen und es nicht zu verlassen, ohne klar und deutlich auf jeden Anspruch auf Georginens Hand verzichtet zu haben. Er wollte sich bis dahin nichts merken lassen, um die Sache nicht noch verwickelter zu machen und den väterlichen Zorn nicht heraufzubeschwören, ehe alle Schiffe hinter ihm verbrannt wären.
Auf dem Wege nach Salvanches wollte es ihn, trotz seines äußerst gemessenen Schrittes, bedünken, als ob die Bäume zu beiden Seiten des Weges mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit aufeinander folgten. Im voraus malte er sich die kommenden Ereignisse aus; er erfand sich die Fragen und Antworten und hörte schon die feierlichen und sententiösen Reden Frau Granfiefs und sah vorher, daß er alles in allem eine sehr klägliche Rolle spielen würde.
Nachdem er am Thore die Glocke gezogen hatte – jeder Ton ging ihm durchs Herz – fragte er zögernd, ob die Damen ihn empfangen könnten. »Ja, die Damen arbeiten im kleinen Wohnzimmer.« Und damit eilte ihm die Kammerjungfer leichten Schrittes in die Hausflur voraus. Hier überlief es ihn noch einmal eiskalt; aber er beschwor das Bild seiner blonden Helene herauf und fand dann schnell seinen Mut wieder, so daß er mit dem festen Vorsatze eintrat, die Sache zu einem guten Ende zu führen.
Frau Grandfief zählte stehend einen Stoß Wäsche. Am Fenster saß Georgine vor einer jener hübschen Garnwinden, die man auf Chardins Bildern sieht, und war damit beschäftigt, Garnsträhne auf einen Knäuel zu wickeln. Frau Grandfief mochte es gerne, wenn ihre Tochter bei der Beschäftigung mit diesen unbedeutenden Einzelheiten des häuslichen Lebens überrascht wurde, das ließ sie gesetzt und häuslich erscheinen.
Nach einem Austausch alltäglicher Redensarten trug Frau Grandfief ihren Stoß Wäsche fort, und die jungen Leuteblieben allein. Auch die Mutter fand, daß Gérard sich doch ein wenig allzu zurückhaltend benehme; und da sie glaubte, er fühle sich durch ihre Anwesenheit eingeschüchtert, beschloß sie, ihn zum erstenmal mit ihrer Tochter allein zu lassen; natürlich blieb sie als vorsichtige Mutter in Hörweite hinter der Thüre des Nebenzimmers.
Gérard hatte sich in einen Lehnsessel gesetzt und besann sich, wie er seine Rede beginnen sollte; Fräulein Georgine fuhr fort, ihr Garn zu wickeln, während die Bignonien, die ihre Zweige durch das offene Fenster bis in das Zimmer streckten, ihr schwarzes, glattgescheiteltes Haar leise berührten. Bisweilen vernahm man das Rauschen des Ornain, der hier mit der reißenden Schnelligkeit eines Gebirgsbaches fließt. Das junge Mädchen brach das Schweigen zuerst und bat um Entschuldigung, daß sie in ihrer Beschäftigung fortfahre; als Gérard seine Verwunderung ausdrückte, sie so bald nach einem Balle so fleißig zu sehen, sagte sie:
»Was wollen Sie? jeder füllt seine Zeit aus, so gut wie er kann, und ich habe nicht die geistigen Hilfsquellen Fräulein Laheyrards.«
Gérards Benehmen auf dem Ball hatte ihre Eigenliebe tief verletzt, und sie zeigte dies durch ihren herausfordernden Ton. Der junge Mann beeilte sich, den Vorteil, den sie ihm gab, zu benutzen, um zur Sache zu kommen.
»Ich glaube nicht,« sagte er, »daß Fräulein Laheyrard viel müßig geht, sie beschäftigt sich fleißig.«
»Mit ihren Kleidern, ja ... und die sind wichtig, das ist wahr ... Wie fanden Sie ihren Anzug am Dienstag?«
»Einfach und geschmackvoll.«
»Einfach, das mag sein; das armselige Gazekleidchen hat sie gewiß nicht viel gekostet; was aber den
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